Ein Mitangeklagter im NSU-Terrorprozess wird nach München-Stadelheim verlegt, weil im heimischen Thüringer Knast rechte Seilschaften die Postkontrolle des Bundeskriminalamts umgangen haben sollen.
Von Andrea Röpke & Maik Baumgärtner, zuerst veröffentlicht beim blick nach rechts
Fünf Monate im Haftraum 162 S in der Justizvollzugsanstalt Tonna nahe Gotha genügten scheinbar, damit ein geheimes Unterstützernetzwerk um den in Untersuchungshaft befindlichen, ehemaligen NPD-Funktionär Ralf W. und Szeneaktivisten aus Gotha und des „Freien Netz’ Saalfeld“ entstehen konnten. Nachdem W., Szenename „Wolle“, einen anfänglichen „Haftschock“ gut überstanden hatte, profitierte er von seinem Bekanntheitsgrad in Tonna und fand unter Gleichgesinnten Anerkennung. Die Ermittlungsbehörden hatten im Sommer 2012 durch Abhörmaßnahmen Hinweise darauf bekommen, dass um den NSU-Beschuldigten herum unbefugte Nachrichten die Runde machen würden. Einer der abgehörten Neonazis aus Saalfeld habe bereits im April mitgeteilt, er habe die Absicht, „Wolle“ einen Brief zukommen zu lassen, der nicht durch die Kontrolle des Bundeskriminalamts (BKA) gehe. Die Ermittler vermuteten, dass es über Mittelsmänner im Knast und außerhalb einen regen Austausch von Kassibern gab.
Mehrere Briefe wechselten zwischen W. und einem „Richard Kreuch“ hin und her. Hinter diesem Namen verbirgt sich einer der Köpfe des „Freien Netz’ Saalfeld“, Steffen R. Polizeilichen Erkenntnissen zufolge hatte sich eine junge Szenefrau aus Gotha um Vermittlung zwischen einsitzenden Neonazis in Tonna und Helfern von außen bemüht. Sie teilte mit, es säße ein Mitglied „unserer Bewegung“ in Tonna ein, der käme als Tarnadressat für Briefe an W. in Frage. Der inhaftierte Sympathisant, „Wolle“ loyal ergeben, soll die Briefe dann scheinbar bei Freizeitveranstaltungen oder Hofgängen an den, einer stärkeren Kontrolle unterzogenen, NSU-Unterstützer weitergegeben haben, so der Verdacht der Ermittler.
Die Stellung im „Braunen Haus“ in Jena halten
In einem konkreten Fall konnten sie den unbefugten Nachrichtenaustausch feststellen. In einem Behördenschreiben vom 7. September 2012 heißt es, es liege die Annahme nahe, dass die unüberwachte Kommunikation mit Dritten dazu genutzt werden könnte, auf Mitbeschuldigte oder Zeugen einzuwirken oder gar Maßnahmen zu einer Flucht zu ergreifen. W. wurde von den Mitgefangenen getrennt und anschließend nach Bayern verlegt.
Der 28-jährige Steffen R. aus Saalfeld hatte rund 140 Mal mit der Ehefrau des mutmaßlichen NSU-Helfers „Wolle“ telefoniert. Er erhielt wohl Order, die Stellung im „Braunen Haus“ in Jena und bei den politischen Stammtischen im Sinne von W. zu halten. Auch solle der Vertraute einen möglichen Verkaufsversuch der rechten Immobilie durch andere Kameradschaftsaktivisten verhindern.
Im Juni 2012 waren Steffen R. und weitere Neonazis aus Thüringen von Hausdurchsuchungen betroffen. R. wurde kurzzeitig verhaftet, stand unter „Verdacht auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdeten Gewalttat“. Der Saalfelder „Freies Netz“-Anhänger, der als Waffen-Fan gilt und den „Hammerskins“ nahe stehen soll, kandidierte 2009 für die NPD bei den Landtagswahlen, erzielte über sechs Prozent Stimmenanteil. Zudem organisierte er mehrere Solidaritätsveranstaltungen wie Rechtsrock-Konzerte im „Silberberg“ in Unterwellenborn.
Kleine Soli-Aktionen für Wolle
Beim „Thüringentag“ der Szene 2012 in Meiningen sollten über Bands wie „Preußenstolz“ kleine Soli-Aktionen für „Wolle“ laufen. R. verfügt Behördenerkenntnissen zufolge über „weitreichende Kontakte zu Bands aus dem gesamten Bundesgebiet“, hatte Ansprechpartner unter anderem in Ludwigshafen. Auf dessen Handy fand die Polizei internen Berichten zufolge auch das Foto einer Waffe, einer Ceska.
Ein Unbekannter schickte dem NSU-Beschuldigten eine Ankündigung für zwei „fertig gemachte Tapes“ mit Rechtsrock-Musik, womöglich Titel für einen geplanten Soli-Tonträger. Eine Art „Angebotsliste“ mit Liedern von Bands wie „Stahlgewitter“ und „Gigi & die braunen Stadtmusikanten“ sowie von „Die Lunikoff Verschwörung“ und „Blitzkrieg“ deuteten darauf hin. In dem Begleitschreiben, mit „Grüß dich“ überschrieben, war sinngemäß davon die Rede, dass es mit der Band „Blutzeugen“ schwierig werden könne.
Ralf W. soll inzwischen drei Verteidiger haben. Er wird nicht mehr nur von der Szene-bekannten Anwältin Nicole Schneiders und von einem Anwalt aus Cottbus vertreten, der bereits für den NPD-Mann Peter Klose aus Zwickau tätig war. Als dritter Verteidiger fällt inzwischen auch der Name des letzten Bundesvorsitzenden der 1994 verbotenen „Wiking-Jugend“, einem beliebten Szene-Anwalt aus Berlin.