Es ist ein trister Tag in Berlin. Der Schnee ist schon geschmolzen, trotzdem ist es noch unangenehm kalt. Dementsprechend bedrückt ist die Stimmung im Protestcamp am Oranienplatz. Die Flüchtlinge frieren schon seit Monaten in Berlin. Sie sind ausgelaugt und erschöpft.
Das große rote Banner mit der Aufschrift „Infopoint“ sticht Besuchern als erstes ins Auge. Drei Unterstützerinnen und ein Flüchtlingsaktivist sitzen hinter einem Tisch voller Infomaterial und fragen, ob sie helfen können. Auf einer Tafel hinter ihnen stehen die täglichen Aktivitäten, an denen die Flüchtlinge teilnehmen können: Deutschkurs, Rechtsberatung, Plenums-Diskussion. Unter der Überschrift „what we need“ haben die Bewohner aufgelistet, welche Spenden sie am dringendsten brauchen. Medikamente, Zahnpasta, Geschirr, Essen – den Protestlern fehlt es an Dingen, die für die meisten Menschen selbstverständlich sind.
Im Camp ist der Boden um die Zelte herum mit Stroh ausgelegt, aneinander gereihte Holzpaletten bilden Wege durch den Platz. Das kleine Zeltdorf ist momentan das Zuhause der Flüchtlinge – umso seltsamer, das jeder von außen einfach so herein spazieren kann. Doch es gelten Regeln auf dem Oranienplatz: niemand darf unerlaubt Fotos machen, Alkohol und Drogen sind verboten – genau wie Rassismus und Sexismus. Darauf werden Besucher durch ein Plakat schon am Eingang hingewiesen.
Wer sich als Gast für die Situation der Flüchtlinge interessiert, weckt schnell die Neugierde der Bewohner. Jeder hat etwas zu sagen – ob auf englisch, deutsch, französisch oder arabisch. Unterschiedliche Sprachen stehen der Kommunikation nicht im Weg, die Flüchtlinge übersetzen sich problemlos gegenseitig. Einige Camp-Bewohner stehen um eine Feuertonne herum, essen und wärmen sich auf. Andere sitzen gemeinsam in ihren Zelten, machen Musik und unterhalten sich. Ihre kleinen Wohnräume sind ausgestattet mit ein paar Feldbetten, Decken und alten Sofas. Ein Gasofen wärmt das Zelt ein wenig auf.
Selbst in ihre Zelte, die für sie Schlaf- und Wohnzimmer sind, bitten die Flüchtlinge Besucher gerne dazu. So erleben es auch zwei Touristen aus England, die in der Dämmerung auf das Refugee camp aufmerksam werden: „Es ist sehr inspirierend, was die Menschen hier tun, es ist mutig und heldenhaft“, sagt Sia Cox. Die 27-Jährige findet, dass die Flüchtlinge es nicht verdient haben, so behandelt zu werden. „Aber die meisten Leute wissen nichts über sie, daher ist es gut, dass sie ins Zentrum von Deutschland kommen und demonstrieren“, meint Cox. Sie könne es kaum glauben, dass so etwas in Deutschland passiere, in einem Land, das eigentlich schon weit entwickelt sei. Sia Cox und ihr Freund sitzen auf den provisorischen Betten der Flüchtlingen, unterhalten sich und lachen mit ihnen. Die beiden werden sofort in die Gemeinschaft der Flüchtlinge aufgenommen – die Camp-Bewohner unterscheiden weder zwischen Ländern, noch zwischen unterschiedlichen Menschen.
Plötzlich wird es unruhig vor dem Zelt. Ein paar Bewohner und Unterstützer kommen zusammen. Ein Flüchtling hält einen Brief in der Hand – er spricht nur arabisch und versteht nicht genau, was in dem Schreiben steht. Caroline von Taysen, eine der Unterstützerinnen, kennt das Szenario bereits und erklärt Adam, dass es um seine Abschiebung geht. Sie weiß: „Adam ist in Deutschland momentan nur geduldet und hat jetzt eine Einladung in die sudanesische Botschaft bekommen. Dort kriegt er einen Pass ausgestellt, kommt dann in den Abschiebeknast und wird irgendwann von dort aus in den Sudan abgeschoben“. Wenn der Flüchtling sich bereits regierungskritisch in der Öffentlichkeit gezeigt habe, werde er vom Flughafen in Sudan direkt in ein Gefängnis kommen. Von Taysen sagt: „Im sudanesischen Gefängnis wird er wahrscheinlich gefoltert und umgebracht, aber das ist den Behörden in Deutschland egal. Denn hier kann er nicht beweisen, dass er in seinem Heimatland gefährdet ist“.
Um ihn zu schützen, ruft die Unterstützerin sofort einen Anwalt an, der ein Widerspruchs-Schreiben verfassen soll. Außerdem sagt sie Adam, dass er auf keinen Fall zu dem Termin in die Botschaft gehen dürfe, sonst könne ihm keiner mehr helfen.
Ich frage Adam nach seiner Geschichte und er ist sofort bereit, mir von seiner Situation zu erzählen: „Im Sudan herrscht Krieg, außerdem suchen sie dort nach mir“, sagt er. „Die Regierung dort denkt, dass ich Rebellen Informationen gegeben habe, deshalb musste ich flüchten“. Vom Sudan über die Türkei und Griechenland kam er deshalb vor zwei Jahren versteckt in einem LKW nach Deutschland. Er habe Kontakte gehabt, durch die ihm diese Flucht überhaupt es möglich geworden sei. „Eigentlich wollte ich nach England, aber irgendwie habe ich mich in den falschen Wagen gesetzt und bin in Deutschland gelandet“, erklärt er mir. Trotz seiner schwierigen Situation kann er über dieses Missverständnis auch jetzt noch lachen. Die anderen Flüchtlinge im Zelt lauschen seinen Worten und übersetzen das Arabisch, wenn Adam auf Englisch nicht weiter weiß.
Adam erzählt, dass er um die drei Monate für die Reise aus dem Sudan nach Deutschland gebraucht hat. Er habe gehofft, in Europa endlich eine Schule besuchen und Deutsch lernen zu können. „Jetzt habe ich hier einfach nur Angst, weil die Polizei weiß, wo ich bin. Sie können mich holen und abschieben“, so Adam. „Wenn ich im Sudan ankomme, werden die mich umbringen“, glaubt er.
Dabei wolle er einfach nur wie die anderen in Deutschland ein gutes Leben haben. „Um dafür zu kämpfen, habe ich mich vor ein paar Monaten in Hannover dem Protestmarsch nach Berlin angeschlossen“, erinnert er sich und fügt hinzu: „Ich hätte wegen der Residenzpflicht Hannover zwar nicht verlassen dürfen, aber ich habe es dort in der Unterkunft nicht mehr ausgehalten“.
So geht für Adam und seine Mitbewohner im Flüchtlingscamp am Oranienplatz wieder ein langer Tag zu Ende. Ohne Gewissheit darüber, wie es am nächsten Morgen weiter geht.
Doch zumindest eine Sorge sind die Flüchtlinge seit letzter Woche los: Der Bezirk hat ihnen zugesagt, sie weiterhin mit ihrem Camp am Oranienplatz zu dulden. Mit dieser Sicherheit wollen sich die Flüchtlinge jetzt besser einrichten – mit mehr Möbeln und größeren Zelten. „Denn hier fühlen wir uns sicher“, sagt Adam. Dann korrigiert er sich noch mal: „Zumindest sicherer als in unseren Heimatländern, in denen wir verfolgt werden“.
Das war der 4. Teil meiner Artikel-Serie über das Refugee Camp Berlin.