Für sie ist eine Flüchtlingspolitik, durch die Migranten in Deutschland für sich und ihre Familien eine Zukunft bauen können, selbstverständlich. Canan Bayram gehört seit 2009 zu den Grünen und setzt sich im Berliner Parlament vor allem nach den Flüchtlings-Protesten am Brandenburger Tor für die Menschenrechte von Asylsuchenden ein. Im Interview spricht sie über den Rassismus in unserer Gesellschaft, den Umgang mit Asylpolitik in anderen Parteien und ihre Forderungen für Flüchtlinge.
Störungsmelder: Inwiefern setzen Sie sich für die Flüchtlinge in Berlin ein?
Bayram: Sehr vielfältig. Einmal bin ich im Berliner Parlament zuständig für den Bereich „Flüchtlinge“ in der Fraktion der Grünen. Ich bringe unsere Anliegen für die Flüchtlinge als Anträge ein. Andererseits haben wir als Partei auch klare Forderungen aufgestellt. Wie zum Beispiel, dass Berlin den Abschiebeknast schließen soll. Daneben versuche ich, viele Aktionen der Flüchtlinge zu begleiten und, wo gewünscht, Hilfestellung zu geben. Beim Hungerstreik am Brandenburger Tor habe ich manchmal zum Beispiel eine Rechtsberatung angeboten, da ich ja praktizierende Anwältin bin. Außerdem habe ich versucht, zwischen Politikern und Flüchtlingen ein wenig zu vermitteln. Ich habe gemerkt, dass es den Flüchtlingen auch gut tut, über ihre Geschichte, ihre Situation, ihre Wünsche und Hoffnungen zu reden. Das ist ein großes Bedürfnis und sie freuen sich, wenn man ihnen zuhört.
Störungsmelder: Wie sehen Sie den Konflikt zwischen den Flüchtlingen des refugee protest und der Gesellschaft?
Bayram: Viele Behörden, mit denen die Flüchtlinge zu tun haben, zum Beispiel die Ausländerbehörde, sind rassistisch. Mit den Protesten, die wir für die Flüchtlinge starten, wollen wir zeigen, dass Rassismus durchaus institutionell ist. In unserer Gesellschaft hat ein Mentalitätswechsel stattgefunden und das sollte endlich anerkannt werden. Wir müssen weg von dem Abwehr-Gedanken und hin zu einer Willkommenskultur gegenüber Migranten, damit unser Land multikultureller, offener und das Einwanderungsland wird, das wir faktisch schon sind.
Störungsmelder: Was hat der refugee protest, den Flüchtlinge aus ganz Deutschland vor einem Jahr gestartet haben, ausgelöst und verändert?
Bayram: Ich war bei vielen Aktionen und Demonstrationen dabei. Ich habe versucht, in den Netzwerken, in denen ich seit Jahren aktiv bin, Unterstützung für die Flüchtlinge zu suchen. So haben das auch viele andere Politiker, zum Beispiel Linke und Piraten gemacht. Spannend fand ich, das ein Flüchtling auf dem Pariser Platz gesagt hat, dass er sich dort so sicher wie noch nie fühle. Dort hat ihn die Öffentlichkeit geschützt und dadurch wusste er, dass ihm nichts passieren kann. Viele Politiker waren fasziniert davon, dass diese jungen Menschen so klar formulieren können, was sie brauchen, was ihnen gefällt und missfällt. In einem Gespräch mit dem Bürgermeister hat ein Flüchtling gesagt, dass sie ja eigentlich diesen schöner Pariser Platz gar nicht mit ihren Sachen zustellen wollen, der Bezirk sie aber dazu zwinge, weil er keine Zelte erlaube. Es war ein liebevoller Respekt gegenüber dem Land, den Institutionen und den Politikern, den wir von Seiten der Flüchtlinge gesehen haben. Trotzdem haben viele gesagt, sie hätten ein viel schöneres Bild von Deutschland gehabt. Sie haben nicht gedacht, dass Deutschland mit ihnen so brutal und ungerecht umgeht, nachdem sie aus Unrechtsstaaten mit viel Hoffnung hier hin kamen. Das fand ich beeindruckend, weil sie uns damit den Spiegel vorgehalten und gezeigt haben, wie wir sein könnten.
Störungsmelder: Wie setzen Sie sich als Politikerin für die Anliegen der Asylsuchenden ein?
Bayram: Ich setze mich zum Beispiel dafür ein, dass das Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft wird. Asylsuchende bekommen durch dieses Gesetz noch weniger Geld als Deutsche, die Hartz IV beziehen. Vom Bundesverfassungsgericht wurde dieses Gesetz bereits als verfassungswidrig und als ein Verstoß gegen die Menschenwürde erklärt. Außerdem fordern wir, dass landeseigene Gebäude geprüft werden, ob sie nicht für Flüchtlinge genutzt werden können. Bisher hat es der CDU-Sozialsenator nicht hinbekommen, genügend Unterkünfte für Flüchtlinge zu organisieren. Außerdem ist es leider noch so, dass von dem Kontingent von 275 Wohnungen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften für die Flüchtlinge nur 40 Prozent wirklich zur Verfügung gestellt werden. Wir sind da hinterher, dass sich das ändert und die Flüchtlinge als Mieter nicht abgelehnt werden oder ihnen heruntergekommene Unterkünfte angeboten werden. Perspektivisch müssen die Menschen abschließbare Räume haben, durch die sie auch ihr Grundrecht auf Wohnen richtig wahrnehmen können. Davon sind wir aber leider noch sehr weit entfernt.
Störungsmelder: Wo sehen Sie sonst noch Probleme in der Asylpolitik, die sich leicht lösen lassen?
Bayram: Berlin gibt momentan im Monat eine Million Euro für den Abschiebeknast aus. Da sind immer etwa fünf bis zehn Leute drin, die von 170 Vollzugsbeamten kontrolliert werden. Das ist völlig überdimensioniert und absoluter Quatsch. Ich möchte, dass diese Mittel umgeschichtet werden, um Angebote für Familien und vor allem Jugendliche anzubieten, beispielsweise Deutschkurse und Freizeitaktivitäten. Ich finde es schwachsinnig, eine Million Euro auszugeben, um die Menschen wegzusperren, statt das Geld in die Hand zu nehmen und ihnen Angebote zu machen. Problematisch ist außerdem, dass die Flüchtlinge in den Lagern, die außerhalb liegen, isoliert und dem Hausmeister ausgesetzt sind. Davon werden sie depressiv. Dort werden sie mit ihren Sorgen alleine gelassen. Viele brauchen eine psychische Betreuung, um die schrecklichen Erlebnisse in ihren Heimatländern oder von der Flucht verarbeiten zu können. Das geht in Lagern nicht.
Störungsmelder: Sie sind 2009 aus der SPD ausgetreten, unter anderem weil sie fanden, dass in der Fraktion „eine die MigrantInnen ausgrenzende und diskriminierende Atmosphäre besteht“. Wie beurteilen Sie die Atmosphäre, hinsichtlich der Migranten, in den anderen Parteien?
Bayram: Menschen wie Sarrazin und Buschkowsky werden von der Partei unterstützt bei dieser fürchterlichen Migrationspolitik. Als ich noch in der SPD war, hat Sarrazin zum Beispiel bei einem Vortrag anhand von Folien gezeigt, wie viel Geld das Land Berlin hätte, wenn es keine Sozialausgaben für Flüchtlinge gäbe. Und mittlerweile schreiben solche Menschen sogar Bücher darüber. Wenn ich dann sehe, wie viel Zustimmung ich bei den Grünen für meine Anträge bekomme und in meinen Ansichten unterstützt werde – das ist ein komplett anderer Ansatz. Für die politisch Verantwortlichen bei uns ist es selbstverständlich, dass man sich für die Menschenrechte der Flüchtlinge einsetzen muss. Die CDU in Berlin ist sehr rechts. Sie fordern, dass möglichst viele abgeschoben werden und reden von Angst vor Überfremdung. Bei den Linken setzen sich die führenden Politiker schon für eine bessere Flüchtlingspolitik ein, aber einige Parteimitglieder sind da weniger offen, das ist dann auch wieder schwierig. Bei den Piraten ist es unklar, die sind eben noch in einer Findungsphase. Momentan ist der rechte Flügel noch stärker. Aber ist gibt auch ganz tolle Leute, die die Aktionen unterstützen und mit denen ich auch schon gut zusammengearbeitet habe.
Störungsmelder: Was könnten die Parteien gemeinsam tun, um den Forderungen der Flüchtlinge im refugee camp entgegen zu kommen?
Bayram: Zunächst mal diese ganzen Sondergesetze abschaffen wie das Asylbewerberleistungsgesetz und den Abschiebeknast. Außerdem sollte der enge Rahmen von politischem Asyl erweitert werden. Momentan wird so wenigen Menschen politisches Asyl gewährt. Zum Beispiel aus Syrien werden nur 23 Prozent als politische Asylsuchende anerkannt und der Rest nur vorübergehend geduldet. Das ist Unsinn. Ich bin der Ansicht: wer drin ist, ist drin. Der sollte dann auch schnell alle Rechte bekommen. So können sich die Flüchtlinge schnell wieder ein Leben aufbauen und müssen keine Angst haben, was passiert, wenn sie wieder zurück müssen.
Das war der 15. Teil meiner Artikel-Serie über das Refugee Camp Berlin.