Die Fakten sprechen seit geraumer Zeit eine deutliche Sprache: Berlin steckt tief im so genannten NSU-Sumpf.
Ein Kommentar von Clara Herrmann, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Abgeordnetenhaus von Berlin
Das Landeskriminalamt hat über zehn Jahre lang einen Unterstützer („Thomas S“.) der rechten Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) als Vertrauensperson, kurz: V-Mann, geführt, der Verfassungsschutz hat einschlägige Akten geschreddert, und die Fragen nach dem Warum sind bei weitem nicht alle geklärt. Im letzten Herbst stand Innensenator Frank Henkel nach dem Bekanntwerden dieser Tatsachen das Wasser bis zum Hals. Und heute? Fehlt der Senator in jeder Innenausschusssitzung des Berliner Parlaments, in der das Thema „Aufklärung NSU“ auf der Tagesordnung steht.
Von der versprochenen Offenheit und der in Aussicht gestellten „schonungslosen Aufklärung“ ist nichts zu spüren. Klärungsbedürftig ist aber insbesondere die Frage, ob es neben Thomas S. weitere Spitzel der Berliner Behörden mit NSU-Bezug gab. Dabei geht es insbesondere um die so bezeichnete Vertrauensperson VP 620. Daher hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin bereits im Februar dieses Jahres weitere Fragen zur Arbeit der Berliner Sicherheitsbehörden im NSU-Komplex eingereicht, insbesondere zur V-Person 620. Aufklärung erwarten wir zu Hintergründen und eventuellen Verbindungen von VP 620 zum NSU-Trio oder UnterstützerInnen und Kontaktpersonen des NSU. Außerdem haben wir Akteneinsicht beantragt. Wir wollen drei Akten von V-Personen einsehen, die im Zeitraum von 2002 bis 2011 im Berliner Landeskriminalamt (LKA) im Bereich Rechtsextremismus geführt wurden und so mögliche Zusammenhänge mit dem NSU offenlegen. Aber all unsere Fragen werden mittlerweile nicht einmal mehr im Geheimschutzraum des Parlamentes beantwortet. Akteneinsicht in die VP-Akten erhalten wir auch nicht.
Wir stehen immer noch vor der Frage, weshalb Hinweise der V-Person Thomas S. nicht an andere Behörden weitergegeben worden sind. Dabei geht es auch um damals handelnde Personen, aber auch diese anzuhören wird durch die Koalitionsfraktionen bisher abgelehnt. Es ist nicht nachvollziehbar, warum unserem Antrag, den ehemaligen LKA-Chef Peter-Michael Haeberer und die Verbindungsbeamten von Thomas S. – der V-Person 562 – im Ausschuss anzuhören, seitens CDU und SPD nicht stattgegeben wird.
Das Versprechen nach Aufklärung ist in Berlin bis zum heutigen Tag ganz und gar nicht eingelöst worden. Wie tief steckt Berlin im NSU-Sumpf? Wie viele weitere V-Personen mit NSU-Bezug gab oder gibt es? Wie nah war das LKA am NSU dran oder hätte dran sein müssen? Welche weiteren Bezüge gibt es nach Berlin? Wie konkret waren die NSU-Anschlagspläne auf Berlin? Wie soll die Aufklärung in der Senatsbehörde weitergehen?
Die Angehörigen der Opfer wollen keine Betroffenheit, sie wollen Aufklärung. Aysen Tasköprü, die Schwester eines NSU-Opfers, hat es in ihrem Brief an den Bundespräsidenten präzise formuliert: „Alles, was ich möchte, sind Antworten. Wer sind die Leute hinter dem NSU? Warum ausgerechnet mein Bruder? Was hatte der deutsche Staat damit zu tun? Wer hat die Akten vernichtet und warum?“
Zu hoffen bleibt, dass im NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages am 22.April endlich Antworten auf berlinspezifische Fragen im NSU Skandal gegeben werden. Neben Herrn Haeberer und dem ehemaligem V-Mannführer von Thomas S. lädt der Untersuchungsausschuss auch den jetzigen Berliner Innenstaatssekretär Krömer als Zeugen vor. Das könnte aufschlussreich werden, obwohl eine weitere interessante Person nicht vorgeladen ist und deshalb beharrlich schweigen darf. Auch am 22. April muss der Berliner Innensenator Henkel keine Antworten geben.