Neonazis, die vegan kochen und Club Mate trinken – das klingt erst mal absurd. Aber ein kleiner Teil der rechtsextremen Szene sorgt mit solch skurrilen Auftritten für viel Aufregung. Was steckt tatsächlich hinter den Nazi-Hipstern?
Von Sebastian Wehrhahn, Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR)
Es sind junge Männer, die vor der Kamera herumalbern. Sie kochen vegan und nehmen sich nicht zu ernst. Dazu kommen Gäste, es wird viel gelacht. An diesem Format erscheint wenig berichtenswert, gibt es doch unzählige ähnliche Kanäle auf YouTube. Aber diese Amateur-Kochshow ist anders. Es sind Neonazis, die dort im Hitler-Shirt hinter den Töpfen stehen. Wer genau hinschaut, sieht die rechtsextremen Poster im Hintergrund. Die Gastgeber sind mit Sturmhauben vermummt, die Gäste einschlägig bekannt und man schiebt kichernd Szeneparolen hin und her, die nur Eingeweihte verstehen.
Betrieben wird der Kanal mutmaßlich von Mitgliedern der rechtsextremen Szene Niedersachsens aus dem Umfeld der gerade erst verbotenen Kameradschaft Besseres Hannover. Auch auf sozialen Netzwerken wie Facebook, Tumblr und Instagram gibt es eine Präsenz aus diesem Kreis. Hier verbinden die Rechtsextremen Straight-Edge-Chic (Kein Alkohol, kein Fleisch, keine Drogen) mit zeitgemäßem Design, Ästhetisierung von Gewalt und nationalsozialistischer Propaganda.
„Nipster“ haben Journalisten vor wenigen Monaten diese Erscheinung scherzhaft getauft. Ein Mischwort aus Nazi und Hipster. Der rechtsextremen Szene gefällt diese Bezeichnung so gut, dass sie inzwischen von ihr übernommen wurde.
Im Netz posten sie Fotos von Club-Mate-Flaschen und Turnschuhen, daneben liegt ganz lässig Nazipropaganda. Auf einem Bild sieht man die Silhouette von Adolf Hitler, garniert mit dem aus der antirassistischen Bewegung entstandenen Slogan „Kein Mensch ist illegal“. Ein anderes Motiv zeigt Marx und Engels mit der Unterzeile „Bärtige Fotzen“. Das Phänomen der Nipster erfreut sich derzeit großer medialer Aufmerksamkeit. Der Rolling Stone berichtete, Stern und Focus zogen nach und mittlerweile gilt es nicht mehr als Expertenwissen, dass Neonazis auch Tunnelohrringe tragen.
So begrüßenswert es ist, wenn das mediale Bild des Rechtsextremismus als Skinheads-only-Veranstaltung korrigiert wird, geht doch die Aufmerksamkeit an den entscheidenden Punkten vorbei. Denn das Phänomen von modernen Neonazis ist weder neu noch ist es ein popkultureller Zufall.
Zu jedem Zeitpunkt haben faschistische Strömungen sich kultureller Ausdrucksformen bedient, die zum einen jeweils moderne mit traditionellen Elementen verbanden und die zum anderen nicht originär rechts besetzt waren. „Hat doch der Nazi nicht einmal das Lied erfunden, mit dem er verführt“, schrieb der Philosoph Ernst Bloch schon 1937.
Der italienische Faschismus der 1920er Jahre verband traditionsstiftende Bezüge auf das antike Rom mit modernen Elementen des Futurismus. Der deutsche Nationalsozialismus inkorporierte nicht nur heidnische und germanische ebenso wie römische Symbole, sondern setzte ganz zentral auf Stilmittel der sozialistischen Arbeiterbewegung, um sich in der Bevölkerung zu verankern. Die rote Fahne, die Armbinden, die Melodien vieler Lieder und auch die Fackelmärsche waren keineswegs Erfindungen der Nazis. Der Coup der Nationalsozialisten war es, diese Ausdrucksformen zu übernehmen und sie mit einer Verbindung aus Terror und sozialen Angeboten zur Festigung ihrer Macht einzusetzen.
Auch spätere Generationen Rechtsextremer griffen ästhetische Elemente anderer (Sub)Kulturen auf und machten sie sich zu eigen. Der heute medial oft als archetypisch dargestellte Skinhead-Look mit Bomberjacke und Springerstiefeln war zum Zeitpunkt seines Entstehens in den 1960er Jahren keineswegs rechts codiert, sondern galt als Ausdruck proletarischer Subkultur, die stark von jamaikanischen Einflüssen bestimmt war.
Während des letzten Jahrzehnts waren es vor allem die sogenannten Autonomen Nationalisten, die den überraschenden Beweis darstellen sollten, dass Neonazis jetzt keine Glatzen mehr tragen und neuerdings auch linke Ausdrucksformen kopieren. In der Tat stellte die Strömung der Autonomen Nationalisten eine entscheidende Modernisierungsbewegung innerhalb der rechtsextremen Szene dar. Neben der Übernahme von linken Dresscodes waren es aber auch bestimmte Aktionsformen und eine Art der politischen Ansprache, die insbesondere in Metropolen die rechtsextremen Szenen nachhaltig beeinflussten und zum Teil gegen den Widerstand von traditionell orientierten Rechtsextremen durchgesetzt wurden. Schon 2004 traten Neonazis in Berlin aus Protest gegen die Eröffnung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas mit einem ungewöhnlichen Transparent auf. „Sie haben uns ein Denkmal gebaut, hol den Vorschlaghammer“, wurde darauf provokativ die linksalternative Popband „Wir sind Helden“ zitiert.
Die Wahrnehmung von Rechtsextremismus als „ewiggestrig“ und die Gegenüberstellung von „modern“ und „rechtsextrem“ greifen zu kurz, weil sie diese wesentlichen Momente von Modernisierungsbewegungen nicht berücksichtigen und daran scheitern, rechtsextreme Ideologie und Erscheinung als Verbindung traditioneller und moderner Elemente zu verstehen. Das Ziel der jungen, strategisch denkenden Nazikader ist eigentlich recht simpel: Sie wollen, dass ihre Szene cool, modern und offen wirkt, um gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen und einfacher Nachwuchs rekrutieren zu können.
Hierbei geht es um Einflussnahme im sogenannten vorpolitischen Raum. Nicht nur dort, wo es explizit um politische Themen geht, wird um Hegemonie gerungen. Die Kämpfe um Deutungshoheit und Handlungsmacht werden auch dort geführt, wo es um vermeintlich unpolitische Felder wie Musik, Kleidung, Essen oder Computerspiele geht. Dabei geht es konkret um die Fragen, wer, welche Inhalte auf diesen Feldern etablieren und zur Norm machen kann. Welche Musik im Jugendzentrum läuft, hat eine Auswirkung darauf, welche Jugendlichen sich dort wohlfühlen können – und welche nicht. Welche Kleidung in einem bestimmten Sozialraum, in einer bestimmten Szene getragen wird, kann viel über dort geltende Werte wie Männlichkeit und Weiblichkeit, Zugehörigkeit oder Abgrenzung zu anderen Subkulturen aussagen.
Je harmloser und alltäglicher rechte Parolen oder Symbole wie Runen, Zahlencodes, aber auch Portraits von rechten Ikonen daherkommen, desto leichter verbreitet sich auch deren Rassismus, Antisemitismus und Antikommunismus.
Die modische Verankerung in verschiedenen Subkulturen ermöglicht es, Interesse zu wecken und potenziellen Nachwuchs zu werben. Niedrigschwellige Angebote erleichtern die Einbindung in die Szene. Durch die Übernahme bekannter alltagskultureller Bezüge entstehen Anknüpfungspunkte, die genau das ermöglichen sollen.
Auch wenn die Jutebeutel neu sind: Dass Neonazis versuchen, modern zu erscheinen ist alles andere als neu und keineswegs zufällig. An die Stelle des Staunens darüber, dass Neonazis auch Club Mate trinken, sollte die Erkenntnis treten, dass Rechtsextremismus kein Problem von gestern ist. Und statt immer wieder das Spektakuläre am Rechtsextremismus zu betonen, sollten wir die Normalität des Rechtsextremismus in den Blick nehmen.