Die Plätze in der St. Marien Kirche waren belegt. Besinnliche Stimmung herrschte trotz der Weihnachtszeit nicht. Die Gemeinde musste sich gegen die Wortergreifungsstrategie des mecklenburg-vorpommerischen NPD-Fraktionschefs Udo Pastörs wehren. Statt über die Opfer rechter Gewalt, wollte die NPD über die Verunglimpfung „Nationaler“ reden.
An die 300 Besucher waren in Boizenburg zu der „Andacht gegen Gewalt und Rechtsextremismus“ gekommen. „Wir sind in einer Kirche. Es herrscht Friedenspflicht“, eröffnete Pastor Dino Steinbrink am Dienstag die Andacht und betonte: „rassistische und antisemitische Äußerungen dulden wir nicht“. Befremdliche Worte in einer Kirche – doch wie notwendig die Erklärung war, zeigte sich nach in der anschließenden Diskussion.
Nach einem Angriff auf einen Asylsuchenden aus der nahen „Zentralen Aufnahmestelle“ (ZAST) in Horst hatte die evangelische Kirche und „Courage Boizenburg“ zu dem Abend geladen. „Im Schatten unserer Kerzen herrscht die Dunkelheit von Gewalt und Hass“, sagte Steinbrink. Mancher Boizenburger berichtete von rechten Übergriffen, andere meinten „zu lange weggesehen zu haben“. Zu viel der Betroffenheit für Pastörs, der sich in seiner Funktion vorstellte und über die „Asylanten“ und „diesen Bußgottesdienst“ schimpfte. Andreas Theißen, der nur seinen Namen erwähnte und verschwieg NPD-Kreisvorsitzender zu sein, klagte über die „Ausländergewalt“ und, dass „noch unklar ist, ob es ein rechter Übergriff war“. Ein Bekannter des Betroffenen erwiderte sogleich: „Die Täter fragten ‚ob er Ausländer sei‘ und dann schlugen sie zu“.
Am Abend des 25. Novembers geschah der Angriff. Der Betroffene wartete am Bahnhof auf ein Taxi, um zum ZAST zu fahren. „‚Bist du Ausländer‘ wollte zuerst die Frau vom Kiosk wissen“ sagte der 32-Jährige dem Flüchtlingsrat. Dann hakte eine Gruppe von Männern nach und als er „ja“ sagte schlugen und traten an die fünf „Typen“ auf ihn ein. In den Kiosk konnte er sich wegen der Frau nicht retten. Noch mehr Männer traten zu. „Ich dachte, ich sterbe, wenn ich nicht hochkomme“ berichtet er. Mit Glück gelang die Flucht. Mehrere Tage musste er ins Krankenhaus.
In der Kirche warnte Pastörs dennoch „nur von vermeintlich rechter Gewalt zu reden“ und beschimpfte Opferberatungen, die „berufsbedingt alles übertreiben müssen“. Er wusste, dass er provozierte und folgte später mit einem breiten Lächeln Steinbrinks Bitte zu gehen. „Sie als Politiker müssten wissen, das das Wort ‚Asylant‘ eine Verunglimpfung ist“, begründete Steinbrink den Rauswurf. Endlich, schienen viele gedacht zu haben. Denn jetzt konnten sie über die reale Situation diskutieren und auch über das Miteinander von Anwohnern Boizenburgs und Horsts. Waren doch extra Asylsuchende aus der ZAST gekommen. Auf Nachfrage sagte Bürgermeister Harald Jäschke (parteilos): „Ich bin für alles offen“. Längst rief er mit zur Demonstration am kommenden Samstag unter dem Motto: „Schluss mit den Wegschauen“ auf und bedankte sich für die Zivilcourage des Pastors. Ganz der Wortergreifungsstrategie folgend, inszeniert sich die NPD jetzt als die „einzigen Demokraten“ und klagte: Die „Demokratie endete an der Kirchenpforte“.