Am Sonnabend will die deutsche Neonazi-Szene einen ihrer zentralen Aufmärsche ausgerechnet in Neuruppin (Ostprignitz-Ruppin) abhalten. Mehr als 500 Teilnehmer werden erwartet, zudem 2000 Gegendemonstranten. Brandenburgs Polizei steht unter besonderer politischer Beobachtung. „Die ganze Bundesrepublik wird darauf blicken“, sagt der Chef der Polizeidirektion Nord, Bernd Halle. Ein Überblick.
Von Alexander Fröhlich und Sören Kohlhuber, Potsdamer Neueste Nachrichten
Es soll der inzwischen siebte „Tag der deutschen Zukunft“ (TDDZ) sein, das Motto der Neonazis lautet: „Unser Signal gegen Überfremdung“. Der Aufmarsch, der in den Vorjahren im Nordwesten Deutschlands und 2014 in Dresden abgehalten wurde, zählt zu den größten Aktionen der Neonazi-Szene in Deutschland. Mit mindestens 500 Teilnehmern wird es der größte braune Aufmarsch seit Jahren in Brandenburg sein. Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet und über die Grenzen der sonst zerstrittenen Flügel Kameradschaften und Parteien hinweg, darunter auch gewaltbereite, werden erwartet.
Der Stellenwert wird an der Rednerliste deutlich: Die NPD-Landeschefs aus Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, Sebastian Schmidtke und Stefan Köster werden erwartet, ebenso Michael Brück aus Dortmund (Die Rechte) und der Brandenburger Maik Eminger („III. Weg“). Der Bruder des derzeit im NSU-Prozess angeklagten André Eminger ist eine Szenegröße und seit Monaten in Brandenburg dabei, sämtliche rechten Gruppen hinter sich zu vereinen.
Daher sprechen neben Parteipolitikern auch „parteifreie Kräfte“ wie der Dresdner Maik Müller. Er war jahrelang Organisator der großen Neonaziaufmärsche in Dresden mit bis zu 6000 Teilnehmern. Angekündigt ist auch Pierre Dornbrach, Brandenburgchef und Bundesvize der NPD-Jugend JN, die erst jüngst einen Kampf um die Straße propagiert hat. Anmelder des Aufmarsches ist der Neuruppiner NPD-Stadtverordnete Dave Trick, der mit den „Freien Kräften“ den Nordwesten Brandenburgs seit Wochen mit Anti-Asyl-Aufmärschen überzieht. Zudem hat der NPD-Funktionär Robert Wolinski in Velten (Oberhavel) eine Versammlung angemeldet – als Sammelpunkt und als Alternative zum Ausweichen bei Blockaden.
Was die Gegendemonstranten machen
Verschiedenste Organisationen wie die Bürgerinitiative „Neuruppin bleibt bunt“ und das autonome Bündnis „Keine Zukunft für Nazis“ wollen mit Demonstrationen und einem Fest unter dem Motto „Schöner Leben ohne Nazis“ gegen den Aufmarsch protestieren. Landtagspräsidentin Britta Stark wird ein Grußwort sprechen. Der Protestaufruf des Bündnisses „Neuruppin bleibt bunt“ und des landesweiten Aktionsbündnisses gegen rechts wird getragen von einem breiten Bündnis, darunter die evangelische Landeskirche, demokratische Parteien, Landes- und Bundespolitiker von SPD, CDU, Linken und Grünen, Brandenburger Regierungsmitglieder, Gewerkschaften, Sozial- und Wirtschaftsverbände. Neben den 2000 Gegendemonstranten werden mindestens 300 gewaltbereite Autonome erwartet, die per Bus aus verschiedenen Bundesländern anreisen wollen. „Neben friedlichem Protest ist auch mit anderen Aktionen zu rechnen“, sagt Direktionschef Halle. Acht Demonstrationen sind gegen den Neonazi-Aufzug angemeldet worden, es könnten noch mehr werden.
Was das für die Polizei bedeutet
Brandenburgs Polizei steht vor einer Mammutaufgabe. Neben dem Aufmarsch findet in Cottbus ein Junioren-Pokalfinale im Fußball zwischen Energie Cottbus und dem Halleschen FC statt – ein Risikospiel. Gleichzeitig spielt der MSV Neuruppin daheim gegen die TuS Sachsenhausen in der Brandenburgliga. Auch die Tour de Prignitz muss von Polizeikräften abgesichert werden. Mehr als 1000 Beamte der Brandenburger Polizei sollen in Neuruppin im Einsatz sein. Zwar hat Brandenburg bei anderen Bundesländern Unterstützung angefordert. Doch bis Donnerstag gab es keine Zusage. Fast 20.000 Sicherheitskräfte sichern am anderen Ende der Republik das G7-Treffen in Bayern ab. Mit dabei: die Hubschrauber-Staffel der märkischen Polizei. In Berlin plant die Polizei einen Großeinsatz zum Champions-League-Finale zwischen dem FC Barcelona und Juventus Turin mit 1000 Beamten. Polizeichef Halle sagt, die Polizei gerate an ihre Belastungsgrenze. Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) sprach von einer Herausforderung: „Wir haben alles getan, was man vorsorglich tun kann.“
Warum der Einsatz politisch brisant ist
Es gibt eine Vorgeschichte und politische Verwicklungen, die Polizei geht nicht unbelastet in den Einsatz. Im September 2011 wurden Hunderte Gegendemonstranten eines rechten Aufmarsches in Neuruppin über Stunden von der Polizei eingekesselt. Der Neuruppin-Kessel schlug in der Landespolitik über Wochen Wellen, der damalige Innenminister, Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), räumte Fehler ein. Seither war die Polizei in Brandenburg bei Blockaden von Neonazi-Aufzügen recht nachsichtig und legte den Ermessensspielraum weit aus. Doch dann kam 2014 ein Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam. Es ging um einen NPD-Aufmarsch 2012 in Potsdam. Das Gericht befand, dass die Polizei damals zu Unrecht eine Blockade von Gegendemonstranten nicht geräumt und das Versammlungsrecht der NPD nicht durchgesetzt habe. Das Polizeipräsidium ging in Berufung und zog vor das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Ausgang offen.
Das Präsidium pocht darauf, dass es wegen der Verhältnismäßigkeit nicht räumen konnte. Auch wenn der Rechtsstreit noch läuft, so ist in den vergangenen Monaten doch ein resoluteres Vorgehen der Polizei in Brandenburg bei Blockaden von Neonazi-Aufmärschen zu beobachten. Anja Götze, Rechtsexpertin der Direktion Nord, sagt, Leitsätze eines Gerichtes seien natürlich zu berücksichtigen. Dazu gehört auch, so ist es intern festgelegt worden, dass Kundgebungen, die nur der Blockade einer anderen Versammlung dienen, geräumt werden müssen. Polizeichef Halle sagt: „Wir werden nicht alles dulden.“ Entschieden werde aber im Einzelfall. Eine Blockade mit mehreren Hundert Teilnehmern sei wohl schwer aufzulösen.
Sorge vor rigorosem Vorgehen der Polizei
So ist bei der Linken die Sorge groß, dass ausgerechnet unter einer rot-roten Regierung die Polizei rigoros gegen Blockaden vorgeht, und hat deshalb bei Innenminister Schröter interveniert. Der versicherte, dass an den Konfliktpunkten nur Brandenburger Beamte eingesetzt werden sollen. Die Unzufriedenheit von Beamten anderer Bundesländer mit der aus ihrer Sicht laschen Haltung der Brandenburger ist bundesweit legendär. Die Linke intervenierte auch wegen einer Aussage von Polizeiführer Halle über Bundestags- und Landtagsabgeordnete. Er beklagte indirekt das Verhalten von Abgeordneten oder Ministern der Linken – weil diese immer wieder versucht hätten, ein Einschreiten der Polizei zu verhindern. Tatsächlich reagieren die Beamten immer wieder genervt, wenn die Politiker mit ihren Abgeordnetenausweisen im Wege stehen. Jedenfalls forderte Schröter von Halle eigens eine Stellungnahme an. Der Polizeiführer hatte aber schon vorsorglich festgelegt, dass den Politikern bei den Gegenprotesten Kontaktbeamte zur Seite gestellt werden.