Tobias Ginsburg reiste mehrere Monate auf den Spuren der Reichsbürger-Bewegung quer durch Deutschland. Von Königreichen über völkische Siedlungsplanungen in Russland bis zu Jürgen Elsässer traf er dabei auf eine weitverzweigte Szene. Seine Erfahrungen hat er nun in einem Buch zusammengefasst.
Das Interview führte Felix M. Steiner
Herr Ginsburg, wie kommt man auf die Idee oder besser, was reizt jemanden, sich auf die Spuren von Reichsbürgern, Esoterikern und Verschwörungstheoretikern zu begeben?
Ich habe mich ganz naiv auf die Reise gemacht, das war kaum mehr als ein neugieriger Blick in den Abgrund. Und dann hat der Abgrund mich freundlich hereingebeten und mir eine Tasse Kaffee angeboten, da sagt man nicht nein. Erst später begriff ich, dass hinter dieser skurril erscheinenden Reichs- und Verschwörungsideologie ein System steckt – dass es hier ganz grundsätzlich um Wahn, Macht und Rechtsradikalismus geht. Da begann meine Recherche immer intensiver zu werden.
Kann man denn überhaupt von der einen Reichsbürger-Szene sprechen?
Nein, das nicht, aber im Zentrum der ganzen Reichsbürgerei steht eine zentrale Verschwörungstheorie: „Deutschland ist Opfer einer sinisteren Weltverschwörung und die Bundesrepublik daher kein rechtmäßiges Land.“ Diese Überzeugung ist aus der rechtsradikalen Szene ausgebrochen und konnte sich in den unterschiedlichsten Milieus und Gesellschaftsschichten festbeißen.
…aber gibt es etwas, was sie verbindet, eine Klammer für all die verschiedenen Gruppen und Personen?
Allein die Überzeugung Opfer eines unrechtmäßigen, fremdgesteuerten Staates zu sein, unterjocht von düsteren Eliten, Volksverrätern und un-deutschen Logen, eint Milieus und Menschen: Das führt bürgerliche Fremdenfeinde mit friedensbewegten Hippies zusammen, eisenharte Neonazis mit spirituellen Selbstverwaltern, AfD-Funktionäre mit Ufologen. Man glaubt sich gemeinsam im Überlebenskampf gegen Die-da-oben, das ist ein effektives Narrativ. Und ja, es gibt immer wieder konkrete Querfrontbestrebungen.
Oft gibt es das Klischee, Reichsbürger seien gescheiterte Existenzen, die Zuflucht in der kruden Ideologie suchen würden. Was für Menschen sind ihnen auf ihrer Reise begegnet?
Natürlich gibt es sie, die Verwirrten und Verzweifelten, die Spinner und die pathologisch Kranken – aber das sind in der Regel einfach die schrillsten, die auffälligsten. Wenn die Zahl der Reichsbürger in Deutschland seit dem Polizistenmord im Oktober 2016 stetig nach oben korrigiert wird, dann, weil wir erst nach und nach begreifen, wie weit sich reichs- und verschwörungsideologische Vorstellungen bereits verbreiten konnten.
Wen halten Sie von all diesen verschiedenen Typen für die Gefährlichsten?
Das ist schwer zu sagen. Die unmittelbarste Gefahr geht vermutlich vom „labilen Einzeltäter“ aus, also dem Durchgeknallten, der sich zu tief in dieses ideologische Sumpfgebiet verirrt. Diese Menschen gefährden sich und ihre Umwelt ganz direkt, klar. Aber wirklich beunruhigend ist es, dass durch neu-rechte Bewegungen und ganz akut die AfD derartige Wahnvorstellungen normalisiert werden und Einzug in die gesellschaftliche Mitte halten.
Welche Rolle spielt bei all diesen Ausprägungen Antisemitismus?
Der Fiebertraum von bösartigen, unsichtbaren Weltregenten basieren auf antisemitischen Klischees. Es ist im Grunde noch immer derselbe hässliche Scheiß wie früher, nur kann Judenhass nicht mehr ganz so leichtfertig in der Öffentlichkeit artikuliert werden. Er wird also chiffriert. Je nachdem, in welchem Milieu man sich bewegt, ist nun die Sprache von der kosmopolitischen Finanzelite oder internationalen Logenszene, von Illuminaten oder Satanisten, von den Rothschilds oder ganz schlicht von Zionisten.
Befürchten Sie nun Racheakte seitens der Personen, die sie im Buch erwähnen und beschreiben?
Ich habe mir ehrlich Mühe gegeben, all die Menschen, egal wie widerlich ihre Überzeugungen auch sein mögen, fair und mit Empathie zu beschreiben – und namentlich habe ich nur die erwähnt, die bereits in der Öffentlichkeit stehen. Ich kann natürlich keine Racheakte ausschließen, aber nein, mehr befürchte ich, dass sie mein Buch nicht lesen werden. Was schade ist. Vielleicht würde es ihnen sogar helfen. Außerdem ist das Buch ziemlich lustig geworden.
Tobias Ginsburg: Die Reise ins Reich. Unter Reichsbürgern, Berlin 2018, Eulenspiegel-Verlag, 272 Seiten, 17,99€, ISBN 978-3-360-01331-6.