Das Bündnis „Bad Nenndorf ist bunt“ ist geübt, wenn es darum geht, die Bahnhofstraße des Kurorts bunt zu schmücken. Einmal im Jahr wechseln sich dort Anfang August farbige Stoffe an den Straßenseiten mit aufgehängten Kleidungsstücken, Plakaten und Spruchbändern ab. So will das Bündnis den rechtsextremen Teilnehmern des so genannten „Trauermarschs“ zeigen, dass sie in der Kurstadt nicht willkommen sind. Auch in diesem Jahr wollen die Neonazis durch Bad Nenndorf marschieren, der mittlerweile sechste „Trauermarsch“ ist zum größten Naziaufmarsch in Norddeutschland geworden.
Nur knapp einen Kilometer lang ist die Route der Neonazis in Bad Nenndorf. Doch während des Aufmarschs am 6. Aufmarsch soll sich die Strecke vom Bahnhof bis zum Wincklerbad fast schon in eine „Partymeile“ verwandeln, erläuterten jetzt Vertreter des Bündnisses und des DGB ihre Pläne. Viele Anwohner der Bahnhofstraße haben auf ihren Grundstücken Privatfeiern angemeldet: die Bürgermeisterin lädt zur Geburtstagsparty, andere feiern ihre Silberhochzeit und in direkter Nachbarschaft zum Wincklerbad beteiligen sich Geschäftsleute und Gastronomen mit Veranstaltungen. Udo Husmann vom Bündnis erklärte: „Wir wollen es den Neonazis so unangenehm und unfreundlich wie möglich machen und ihnen das Deckmäntelchen der ‚Trauerarbeit‘ herunter reißen“. Denn die Feiern sind rechtlich nicht zu verbieten und mit mit persönlicher Einladung ist dort erstmals ein Protest direkt an der Aufmarschroute möglich. , „Die Stadt wird noch bunter als in den letzten Jahren“ kündigt Husmann an und ergänzt schmunzelnd „Es wird in der Tat eine spannende Sache sein“.
Verbot führt zu breiterem Protest
Ohnehin ist der Protest gegen den „Trauermarsch“ in diesem Jahr so breit wie nie zuvor. Husmann zählt allein im Bad Nenndorfer
Stadtgebiet rund 25 Organisationen, weitere Unterstützung kommt aus den umliegenden Orten und Gemeinden sowie vom DGB in der Region Niedersachsen Mitte. Dazu beigetragen hat auch das Vorgehen des Innenministeriums und der Polizei im vergangenen Jahr. In einer Lageeinschätzung war die Rede von 500 teils mit Molotowcocktails bewaffneten Autonomen. Am Ende stand das Verbot der Gegendemonstration, weil sie als Schutz der Autonomen dienen könnte. Husmann berichtet von einer deutlichen Empörung in Bad Nenndorf aufgrund des Gefühls, kriminalisiert worden zu sein. Viele habe dieses Gefühl motiviert, sich in diesem Jahr noch mehr gegen Neonazis zu engagieren. DGB-Sekretär Steffen Holz ergänzt „Wir wissen nicht, was aus dem hause Schünemann in diesem Jahr nachgeschoben wird“ und weist auf die Klage des Bündnisses gegen das Verbot hin. Sie habe dazu geführt, dass das Innenministerium alle Unterlagen auf den Tisch legen muss, die zu der Einschätzung geführt hatten. Bislang aber, so Holz, sei noch kein belastbares Material aufgetaucht. Er sieht in dem Verbot aus dem vergangenen Jahr eine Umkehrung der tatsächlichen Gefahr, die von den Neonazis ausgeht.
Stärkung der Neonaziszene und gewalttätige Übergriffe
Zwar unterbleibe Gewalt während des „Trauermarsches“, im Anschluss aber sei es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen auf Gegendemonstranten gekommen. Auch der Angriff auf ein Jugendzentrum im benachbarten Wunstorf hatte sich nach einem „Trauermarsch“ ereignet. Hinzu komme die Ankündigung auf rechtsextremen Internetseiten, „Wir werden alle Bahnhöfe in der umliegenden Region sichern und einen reibungslosen Zustieg ermöglichen“. Holz spricht von einer „eigenen Geheimpolizei der Neonazis“ als Teil der erstarkten Strukturen in der Region Schaumburg in Folge der Aufmärsche in Bad Nenndorf. Als Beispiel weist er auf die Ortschaft Bückeburg hin, wo sich seit Mitte des vergangenen Jahres gewalttätige Übergriffe von Neonazis häufen. Allein in den vergangenen Wochen griffen Neonazis mehrfach vermeintlich politische Gegner mit Stahlkugeln und Steinen an. Auch die Verknüpfung der dortigen Neonazis mit dem „Aktionsbüro Westfalen-Nord“ ist symptomatisch: durch ihren Erfolg in Bad Nenndorf sei die Szene nicht nur größer und gewalttätiger geworden, sagt Holz, auch ihre länderübergreifende Vernetzung habe zugenommen.
Polizei warnt Gegendemonstranten
Ungeachtet der rechtsextremen Gewalttaten und der erfolglosen Suche nach den „bis zu 500 Gewalttätern“ im vergangenen Jahr spricht
die Polizei auch in diesem Jahr von „150 bis 300 Linksextremisten“, die in Bad Nenndorf angeblich versuchen, „den Aufmarsch der Rechtsextremen für gewalttätige Auseinandersetzungen zu nutzen“. Außerdem warnt die Polizei vor Blockaden des Aufmarsch als „gewalttätige Aktionen“. Mit ihrer Pressemitteilung reagiert sie offenbar auf einen Beschluss des Amtsgerichtes Stadthagen, das die Gewahrsamnahme von vier Personen für rechtswidrig erklärt hatte, die sich 2010 in Bad Nenndorf an eine Betonpyramide gekettet hatten. Mit der Bestätigung der Entscheidung in der zweiten Instanz wies auch das Landgericht darauf hin, dass die vier Personen nicht gegen das Versammlungsgesetz verstoßen haben. Die Aktion auf der Bahnhofstraße war im vergangenen Jahr auf viel Sympathie in der Kurstadt gestoßen, einige Anwohner hatten sich spontan vor die vier Personen auf die Straße gesetzt.
Sabbat Feier nur unter Polizeischutz möglich
Mit ganz anderen Behinderungen muss in diesem Jahr die jüdische Gemeinde in Bad Nenndorf rechnen. Nach ihrem Umzug Anfang des Jahres liegt das Domizil der Gemeinde nun direkt an der Bahnhofstraße. Das Sabbat fest am 6. August kann dort nur unter Polizeischutz stattfinden, denn der Aufmarsch der Neonazis führt direkt an der Gemeinde vorbei. Mit einem Hinweis auf „örtliche Begebenheiten“ hatte der Landkreis sich gegen eine Streckenänderung ausgesprochen. Für das Bündnis „Bad Nenndorf ist bunt“ kritisierte Husmann, es sei erschreckend, dass jüdische Mitbürger an ihrem Feiertag erleben müssten, wie Nazis an ihnen vorüber ziehen. Die Vize-Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Ludmilla Nekrasova, hatte bereits im Mai erklärt: „Die Jüdische Gemeinde ist entsetzt, dass die Nazis wenige Meter vor unserem Gemeindehaus demonstrieren“.
Fortsetzung in Bielefeld?
Unterdessen bahnt sich eine Fortsetzung des Trauermarschs am selben Tag in Bielefeld an. Nach Angaben des dortigen AJZ hat der mehrfach vorbestrafte Neonazi Marcus Winter in der ostwestfälischen Stadt einen Aufmarsch für den Abend des 6. August angemeldet. Der 1979 geborene Winter trat in den vergangenen Jahren als Anmelder oder Versammlungsleiter in Bad Nenndorf auf, nun reichte er die Anmeldung für einen Aufmarsch mit dem Titel „Straftätern die Räume nehmen – AJZ dicht machen“ in Bielefeld ein. In einer Pressemitteilung ruft das AJZ dazu auf, „sich sowohl in Bad Nenndorf als auch hier in Bielefeld den Nazis entgegen zu stellen und ihnen keinen Platz zu gewähren, um ihre menschenverachtende Ideologie darzustellen. Dabei geht es nicht darum wo sie marschieren wollen, sondern darum sie nicht marschieren zu lassen, egal wo“