„Polacken, verpisst euch“-Rufe bei einer Gewalttat gelten in Berlin nicht als rassistisches Tatmotiv? Rechte Gewalttaten tauchen in der Statistik oft nicht als solche auf – das muss sich ändern! Ein Kommentar von Clara Hermann (Grüne)
Am 29.08.1992 mischen sich zwei Obdachlose, darunter Günther S., ein, als in der Nähe einer Parkbank in Berlin-Charlottenburg eine Gruppe Skinheads Zuwanderer provoziert. Daraufhin wenden sich die Skinheads, die Mitglied einer rechtsextremen Organisation sind, den beiden Obdachlosen zu. Es kommt zu einem kurzen Wortgefecht. Dann wird Günther S. brutal mit einem Baseballschläger auf den Kopf geschlagen. Er stirbt an den Folgen des Schlages.
Es ist die Nacht des 26.07. 1994, als Jan W. von einer Gruppe junger Deutscher in Berlin in die Spree getrieben wird. Er schafft es nicht, zurück ans Ufer zu schwimmen, da er von der Gruppe gewaltsam davon abgehalten wird – schließlich ertrinkt er in der Spree. Eine Polizeistreife hörte die Rufe „Polacken, verpisst euch“ und „Lasst den Polen nicht raus“.
Offiziell werden Günther S. Und Jan W. nicht als Opfer rechtsextremer, rassistischer oder antisemitischer Gewalt geführt.
Für den Raum Berlin sind seit 1990 zwei Todesopfer als Opfer rechtsextremistischer Gewalt nach der Definition „Politisch motivierte Kriminalität“ offiziell anerkannt. Demgegenüber haben die Zeitungen „DIE ZEIT“ und der „Tagesspiegel“ nach aufwändigen Recherchen für den gleichen Zeitraum zehn Todesopfer rechtsextremer Gewalt ermitteln können. Diese enorme Diskrepanz zwischen den offiziellen Zahlen und den offensichtlich einem rechtsextremen Hintergrund zuzuordnenden Tötungsdelikten ist nicht hinnehmbar.
Der Berliner Senat hält eine Überprüfung der Fälle und eine daraus folgende Anpassung der Zahlen für unnötig. Das Kleinrechnen der Opferzahlen rechtsextremer Gewalt muss ein Ende haben.
Wir fordern deshalb, dass sich der Berliner Senat innerhalb der Innenministerkonferenz für eine Überarbeitung des polizeilichen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität (PMK) -rechts“ einsetzen soll. Wir wollen, dass eine umfassendere und verlässlichere Erfassung aller rechtsextrem motivierten Straftaten gewährleistet wird. Eine Tat, die von einem nachweislich dem rechtsextremen Milieu Zugehörigen begangen wurde, muss zukünftig in die „PMK – rechts“ aufgenommen werden, es sei denn, der oder die Täter haben erkennbar nicht aus politisch motivierten Gründen gehandelt. Wir regen außerdem an, dass die Polizei verpflichtet werden sollte, den weiteren justiziellen Verlauf eines Falles zu verfolgen und mit in ihre eigene Bewertung aufzunehmen. Der Antrag, den wir dazu im Abgeordnetenhaus gestellt haben, findet sich hier.
Diese Einstufung in die Statistik hat nicht nur Folgen für die Opferhilfe, sondern ist auch für die politische Bewertung der Gefahren des Rechtsextremismus wichtig. Angesichts der nun aufgedeckten Mordserie der rechten Terrorzelle NSU und der öffentlichen Debatte um die Einstufung politisch motivierter Kriminalität (PMK) von Rechts wäre es angebracht, Fehler der Vergangenheit einzugestehen und eine neue, sensiblere Betrachtung einzuführen.