Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz den Verfassungsschutzbericht für 2011 vorgestellt – für das Jahr also, in dem der NSU-Terror bekannt wurde. Neben äußerst wagen Anmerkungen zu den erheblichen Pannen zeichnet sich der Bericht in einigen Abschnitten durch ungenaue oder teils lückenhafte Angaben aus.
Von Benjamin Mayer, zuerst veröffentlicht bei Publikative.org
Bereits die Einleitung des Berichtes dürfte Beobachtern der derzeitigen Enthüllungen wie ein schlechter Scherz erscheinen. Von „effektiven Institutionen“, welche „politischen Extremisten“ entgegenwirken sollen, ist dort die Rede. Außerdem wird auch auf die Kontrolle des Innenministeriums und des Parlamentes hingewiesen, welcher die Verfassungsschutzbehörden unterliegen. So weit, so üblich.
Bezogen auf die laufenden Ermittlungen und die zu erwartenden Veränderungen der Sicherheitsstrukturen hält sich das Landesamt allerdings bedeckt. Beachtet man die Enthüllungen, welche Schritt für Schritt besonders über die Arbeit des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz an die Öffentlichkeit gelangen, wirken die Formulierungen im aktuellen Bericht mehr als nur beschönigend. Von einer „anstehenden Neuordnung des Verfassungsschutzes in der Bundesrepublik Deutschland, die auf Grund der zu Tage getretenen und noch zu Tage tretenden Erkenntnisse zum ‚Nationalsozialistischen Untergrund‘ (NSU), unausweichlich scheint“ ist hier die Rede. Mit den Erkenntnissen aus den verschiedenen Untersuchungsausschüssen wolle man eine „Optimierung der Sicherheitsstruktur“ und eine effektivere „Gestaltung der Kontrolle des Verfassungsschutzes“ erreichen. Auch die „Organisation der Zusammenarbeit der Justiz- und Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder“ sei „zu hinterfragen“, heißt es weiter im Bericht. Abgeglichen mit den abenteuerlichen Geschehnissen rund um die Arbeit der verschiedenen Verfassungsschutzbehörden kann man dies wohl als zumindest nebulöse Beschreibung der Fehlerquellen bezeichnen.
Ungenauigkeiten und Lücken
Im weiteren Bericht zeigen sich an vielen Stellen sehr ungenaue Beschreibungen der Situation in Thüringen und teils eklatante Lücken. Besonders im Bereich der „Autonomen Nationalisten“ ist der Bericht unzureichend. So werden die „AN“ teils als Aktionsform bezeichnet, zu der die „Unsterblichen“ nun hinzugetreten seien, um kaum zwei Seiten später die „AN“ als eine „spezielle Strömung innerhalb der Neonazi-Szene“ zu deklarieren. Besonders in der Region Nordthüringen klaffen im Bereich der „AN“ große Lücken im Bericht. Trotz vermehrter Berichterstattung über die Aktivitäten der „Autonomen Nationalisten Nordthüringen“ und deren Nachfolgegruppen in und rund um Nordhausen, findet sich nur ein schlichter Satz zu der militanten Gruppe: „In Nordthüringen agieren AN unter der Bezeichnung ‚Autonome Nationalisten Nordthüringen’ vorrangig über das Internet.“ Eine weitaus bedeutendere Erkenntnis des Verfassungsschutzes findet sich hingegen zum „Freien Netz Altenburg“: „Das FN Altenburg verfügt auch über einen Twitter-Account.“
Überdies werde besonders im Bereich des militanten Neonazismus zu wenig auf die ansteigende Gewaltbereitschaft der Akteure hingewiesen, kritisiert die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Thüringen (Mobit). So hätten die Angriffe auf zahlreiche Büros von im Landtag vertretenen Parteien und die jüngsten Übergriffe in Erfurt dies deutlich gezeigt, heißt es bei Mobit.
Trotz öffentlich einsehbarer Quellen lückenhaft
Besonders im Bereich rechtsextreme Musikveranstaltungen, Musikgruppen und Versände unterscheiden sich die Zahlen des Verfassungsschutzes deutlich von denen anderer Beobachter der Szene. Neben einer deutlich höheren Anzahl an Konzerten, die Mobit für 2011 dokumentiert hat, sind es vor allem auch die Differenzen bei den Zahlen rechtsextremer Versände, die nicht erklärlich sind. Der Verfassungsschutz führt 12 solcher Szeneversände an und liegt damit deutlich hinter den 21 gezählten Versänden der Mobilen Beratung.
„Die Differenz der Anzahl extrem rechter Versände zwischen Verfassungsschutzbericht Thüringen und MOBIT ist völlig unverständlich. Wir beziehen uns bei den 21 neonazistischen Versandgeschäften auf öffentlich zugängliche Quellen, wie Internetpräsenzen und Kleinen Anfragen an die Landesregierung“, sagt Stefan Heerdegen von Mobit. Auch die höhere Zahl an erfassten Rechtsrockbands kann sich Heerdegen nur durch eine unterschiedliche Bewertung „von Liedgut, gegebenen Interviews der Bands, des Bandumfelds oder der Auswertung ihrer CD-Booklets“ erklären.