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Gefangen in Bonn Hauptbahnhof

 

Grundsätzlich finde ich Bahnfahren immer ein bisschen abenteuerlich. Seit ich nicht mehr in Deutschland lebe, genieße ich den Luxus, immer zum nächstgelegenen Flughafen zu fliegen und mich dann abholen zu lassen oder andere öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, wenn sie denn barrierefrei sind.

Nach Bonn zu kommen, stellte mich allerdings vor eine Herausforderung. Die Flugzeiten nach Köln/Bonn passten nicht so in meinen Plan. Die nach Düsseldorf allerdings schon, und so entschied ich mich, nach Düsseldorf zu fliegen und dann den Zug nach Bonn zu nehmen.

Mein Vorhaben wurde bereits zu Beginn der Reise schwer in Frage gestellt, als der Mann vor mir am Ticketautomat einen cholerischen Anfall bekam, weil der Ticketautomat wohl nicht das tat, was der Mann wollte. Das ist schon etwas ein Kulturschock, wenn man aus England kommt, wo alle friedlich in der Schlange stehen und möglichst wenig emotionale Regungen zeigen, auch dann nicht, wenn der Ticketautomat nicht so will wie man selbst.

Wenn man von dem völlig überfüllten Zug absieht – das bin ich von London wiederum gewöhnt – lief alles ganz reibungslos, der Zugbegleiter im Zug zwischen Köln und Bonn bediente die im Zug integrierte Rampe und ich konnte problemlos ein- und aussteigen. Ich fuhr geradezu beeindruckt von diesem guten Erlebnis zielstrebig zum Aufzug. Vor mir warteten eine Frau mit Fahrrad, ein älteres Ehepaar und ein Paar mit Kinderwagen. Angesichts der Größe des Fahrstuhls war klar, dass ich diesen Bahnhof so schnell nicht verlassen würde. Dass es allerdings so lange dauern würde, konnte ich nicht ahnen.

Der Fahrstuhl kam, das Fahrrad der ersten Frau passte kaum hinein. Sie musste es heben und knallte aus Versehen mit dem Hinterrad gegen die offene Fahrstuhltür. Daraufhin schaltete sich der Fahrstuhl ab. Das tun Fahrstühle schon mal, wenn man sie zu sehr haut, um größeren Vandalismusschäden entgegenzuwirken. Dass die Frau nicht randalieren wollte, sondern nur zu bequem war, ihr Fahrrad die Treppe herunterzutragen, weiß die Fahrstuhlelektronik nun mal nicht.

Nun musste sie also das Fahrrad doch tragen. Und auch das ältere Ehepaar und das Paar mit Kinderwagen machten sich auf in Richtung Treppe. Bevor die Fahrradfahrerin aber verschwand, bat ich sie, dem Bahnhofspersonal Bescheid zu geben, damit der Fahrstuhl wieder in Gang gesetzt würde. Ich kam ohne diesen Fahrstuhl alleine nicht mehr vom Bahnsteig runter. Sie versprach es und verschwand.

Der Bahnsteig leerte sich allmählich. Bald war ich alleine. Vom Bahnhofspersonal aber kam niemand. Ich weiß nicht, ob die Fahrradfahrerin niemanden fand oder vor lauter Anstrengung bis unten vergessen hatte, dass ich noch oben wartete oder was auch immer passiert war. Ich jedenfalls hing fest. Zu allem Übel hatte sich mein Handyakku kurz vor Ausstieg verabschiedet, aber ich hatte noch mein iPad, das auch eine SIM-Karte hat.

Also twitterte ich an den Kundenservice der Deutschen Bahn, dass ich auf ihrem Bahnsteig festsitze. Noch während ich auf Antwort wartete, fuhr ein IC ein. Ich ging zum Zugbegleiter, erklärte ihm meine Lage und er sagte, er werde mir helfen. “Dieser Zug fährt nirgendwohin bis ich für Sie Hilfe organisiert habe”, sagte er und signalisierte das auch seinem Kollegen, der auf die Abfahrt des Zuges drängte.

Bei der ersten Nummer, die der Zugbegleiter wählte, meldete sich niemand. “Dann eskalieren wir das jetzt mal nach oben”, sagte er. “Oben” ging jemand dran. Er schilderte das Problem, legte auf und sagte “Da kommt jetzt jemand. Das verspreche ich Ihnen.” Und bei dieser Ankündigung hätte es mich nicht mehr überrascht, wenn Bahnchef Grube selbst aufgetaucht wäre, um den Fahrstuhl wieder in Gang zu setzen.

Ich bedankte mich sehr bei ihm, er pfiff den Zug ab und fuhr weiter nach Koblenz. Etwas verspätet, aber er war mein Held des Tages, als wenig später endlich ein Bahnhofsmitarbeiter erschien.

Zeitgleich schickte mir die Deutsche Bahn auf Twitter eine Nachricht, dass Hilfe unterwegs sei. Und noch etwas entdeckte ich, als ich mich umdrehte: Eine Notrufsäule, die ich vorher zwar gesucht, aber nicht gefunden hatte. Notrufsäulen, die man im Notfall nicht findet, sind keine guten Notrufsäulen. Aber Mitarbeiter, die im Notfall Verantwortung übernehmen, auch wenn dadurch ein Zug fünf Minuten Verspätung hat, sind unbezahlbar.