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Wie berufliche Inklusion funktionieren kann

 

Kann eine Frau ohne Arme Masseurin werden? Kann ein Mann, der nicht sprechen kann, Kabarettist werden? Kann man ohne sehen zu können, Fernsehkorrespondent werden? Kann ein Rollstuhlfahrer Fußballtrainer werden?

Während vermutlich die Mehrheit der Berufsberater die Fragen mit „Nein“ beantworten würde, sieht die Realität, zumindest in Großbritannien, bereits anders aus. Sue Kent hat keine Arme, ist selbstständige Masseurin und massiert unter anderem Athleten vor und nach Wettkämpfen. Lee Ridley tourt als Comedian durch Großbritannien ganz ohne zu sprechen. Gary O’Donoghue war Politik-Korrespondent bei der BBC, stand öfter vor 10 Downing Street für Live-Schaltungen und ist unterdessen leitender Politik-Korrespondent bei BBC Radio 4. Und auch den rollstuhlfahrenden Fußballtrainer gibt es, nämlich bei Manchester United. Der Verein hat gerade den 22-jährigen Sohail Rehman als Nachwuchstrainer engagiert.

Wenn es darum geht, ob und wie behinderte Menschen arbeiten können, liegt das Hauptaugenmerk oft darauf, was sie nicht können statt nach alternativen Lösungen zu suchen und sich darauf zu konzentrieren, was jemand kann. Der Kabarettist nutzt einen Laptop, auf dem er eingibt, was er sprechen soll, die Masseurin massiert mit den Füßen, der BBC-Korrespondent macht seine Fersehauftritte wie jeder andere auch, vorher lässt er sich vom Kamerateam entsprechend hinstellen. Und ein Trainer spielt sowieso selten selber mit, da ist es auch egal, dass er im Rollstuhl sitzt.

Was es aber braucht, um berufliche Inklusion möglich zu machen, sind Entscheidungsträger, die über ihren eigenen Tellerrand schauen und behinderte Menschen einstellen – oft schon bei Stellen, die weniger spektakulär sind als die oben genannten Beispiele. Ja, es gibt immer noch Menschen, die daran zweifeln, dass ein Rollstuhlfahrer einen Bürojob gut hinbekommt und ob man wirklich einem gehörlosen Bewerber den Job als Grafikdesigner zutrauen kann. Genau diese Einstellungen erklären unter anderem die hohe Arbeitslosenquote behinderter Menschen. Die Bundesagentur für Arbeit schreibt in einer Auswertung über schwerbehinderte Arbeitslose sogar, dass diese tendenziell etwas besser qualifiziert sind als nichtbehinderte Arbeitslose.

Notwendig ist zudem ein niederschwelliges Unterstützungssystem für die behinderten Menschen und für die Arbeitgeber. Manche behinderte Menschen brauchen eine besondere Arbeitsplatzausstattung und Arbeitsassistenz. Diese Kosten werden in Deutschland eigentlich von Kostenträgern übernommen. Aber niederschwellig heißt nicht, dass von den Kostenträgern erst einmal die Arbeitsfähigkeit des behinderten Arbeitnehmers grundsätzlich in Frage gestellt wird, um Kosten sparen zu können. Oder dass man ständig als potenzieller Betrüger hingestellt wird, wenn man Assistenzleistungen beantragt. Oder dass die Bewilligung dieser Unterstützung Wochen oder Monate dauert während der behinderte Arbeitnehmer keine vernünftige Arbeitsleistung erbringen kann, weil die notwendige Arbeitsplatzausstattung fehlt.

Niederschwellig bedeutet genau das, was ich in England selbst erlebt habe: Dass ich einen (!) Anruf tätige bei einer zentralen Hotline, man sich anhört, was ich benötige, mir am Ende des Telefonats die Bewilligung mündlich zusagt, ich am nächsten Tag die Assistenz organisieren kann und am Tag darauf das Bewilligungsschreiben in der Post ist. Und warum? Weil die Briten erkannt haben, dass es viel teurer ist, behinderte Menschen in die Sozialhilfe oder in die Erwerbsunfähigkeitsrente abzuschieben als Assistenz und Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen.

Zusätzlich schaffen behinderte Menschen auch noch Arbeitsplätze in Form von Assistenzkräften. Vor ein paar Jahren gab es eine Studie zu „Access to Work“. So heißt das Programm, aus dem die berufliche Assistenz und Hilfsmittel bezahlt werden. Jedes Pfund, das der britische Staat in behinderte Menschen am Arbeitsplatz investiert hat, kam über Steuern und eingesparte Sozialleistungen wieder zurück. Es gibt sogar Schätzungen, die davon ausgehen, dass das Doppelte wieder in die Staatskassen zurückgespült wird. Das haben viele Kostenträger in Deutschland leider noch überhaupt nicht begriffen.

Das Abschieben von behinderten Menschen aus dem Arbeitsleben ist nicht nur unsozial, denn Arbeit hat nicht zuletzt auch eine soziale Funktion. Aber wem das als Argument nicht genügt: Es ist auch volkswirtschaftlich Unfug, Menschen nicht entsprechend ihren Fähigkeiten einzusetzen und die notwendigen Voraussetzungen dafür zu verweigern.