Wir waren beide nie besondere Tierliebhaber, hatten nie Haustiere. Mein Freund hatte sogar Angst vor Hunden. Er ist jahrelang, nachdem er erblindete, immer mit einem Blindenlangstock durch die Welt gegangen. Aber schon als wir in Hamburg lebten, gab es Probleme in großen Menschenmassen. Am Hauptbahnhof beispielsweise. Leute fielen über den Stock, kickten ihm den Stock aus Versehen aus der Hand, ein paar Mal zerbrach der Stock sogar, weil jemand aus Versehen draufgetreten war. Besonders blöd war das, wenn die Verursacher aus Scham oder Ignoranz einfach wegliefen, statt ihm zu helfen.
Hund versus Stock
Als wir nach London zogen, arbeitete er in Soho. Der nicht zuletzt bei Touristen beliebte Stadtteil ist zwar mit seinen Lokalen ein nettes Arbeitsumfeld, aber für jemanden, der mit Blindenlangstock unterwegs ist, durchaus eine Herausforderung. Viele Leute wissen gar nicht, dass blinde Menschen einen Stock benutzen, nehmen deshalb keine Rücksicht und so häuften sich die zerbogenen Stöcke, Wunden und blauen Flecken.
Irgendwann nahm mein Freund, trotz Hundeangst, Kontakt mit Guide Dogs auf. Das ist die Organisation, die in Großbritannien alle Blindenführhunde ausbildet. Sie überzeugten ihn davon, seine Hundeangst abzulegen und dass es gut wäre, unseren Haushalt künftig mit einem Hund zu teilen.
Dann zog Mercer bei uns ein. Mercer führt meinen Freund seit fast vier Jahren durch London und die Welt. Gebrochene Stöcke und blaue Flecken sind nun vorbei. Dafür kennen wir jetzt fast alle Parks und Grünflächen in London.
Nicht ablenken, bitte
In London gibt es fast 400 Blindenführhunde. Sie werden von der Organisation Guide Dogs gezüchtet und trainiert und sind Weltklasse. In Deutschland gibt es Führhundschulen, die die Hunde ausbilden. Die Kosten für einen Blindenführhund trägt in Deutschland die Krankenkasse, in Großbritannien werden Anschaffung, Schulung und Unterhalt der Hunde ausschließlich über Spendengelder finanziert, was manchmal zu etwas komischen Situationen führt. Die Spender, denen man auf der Straße begegnet, glauben, ihnen gehört der Hund irgendwie auch. Sie wollen ihn füttern streicheln, wenn er eigentlich arbeiten soll. Das ist manchmal nicht ganz einfach, denn einen Blindenführhund bei der Arbeit abzulenken, ist nicht gut. Die Hunde sind trainiert, sich zu konzentrieren, aber es sind immer noch Hunde. Natürlich drehen sie sich um und lassen sich ablenken, wenn sie jemand streichelt oder sogar füttern will. Deshalb ist es immer wichtig, die Besitzer zu fragen, bevor man einen Blindenführhund streichelt. Und oft lehnen die Besitzer das ab, um den Hund im „Arbeitsmodus“ zu halten.
Mercer ist ein ziemlich cleverer Hund, versteht Englisch und Deutsch. Aber seine Befehle bekommt er ausschließlich in Englisch. Er kennt zum einen bekannte Strecken, kann sich aber auch neue Strecken ziemlich schnell merken. Und er kann abstrahieren. Er findet Cafés, wenn man ihm sagt „Go to coffee„. Das hat mein Freund ihm beigebracht, weil er gerne in Cafés geht. Er findet Türöffner, Ampelanlagen, Treppen, Sitzgelegenheiten, Ausgänge, Tresen und vieles mehr auf Kommando.
Reisefreudiger Hund
Da wir wussten, dass wir gerne reisen, hat uns Guide Dogs einen Hund gegeben, der ebenfalls etwas abenteuerlustig ist. Mercer liebt es, neue Städte zu erkunden, war bereits in den USA, in Deutschland, Frankreich, Spanien und Österreich. Da merkt man manchmal, dass es eben doch ein britischer Hund ist. Denn Fahrradwege auf dem Bürgersteig, wie zum Beispiel in Berlin, gibt es in Großbritannien so nicht. Das mussten wir ihm in Berlin erst beibringen, sich davon fern zu halten.
Bis auf ganz wenige Ausnahmen war Mercer bislang übrigens länderübergreifend überall willkommen. Großbritannien, die USA und Spanien haben recht klare Gesetze, dass blinden Menschen nirgendwo der Zugang verwehrt werden darf, nur weil sie einen Blindenführhund haben. Denn die Hunde sind wirklich gut trainiert, beißen nicht und sind stubenrein.
Auch in Deutschland ist die Rechtsauffassung unterdessen so, dass Blindenführhunden der Zugang nicht verwehrt werden darf. Leider wissen das immer noch zu wenige Menschen. Die Hunde geben den Besitzern Unabhängigkeit und Mobilität. Manchmal muss man den Geschäftsleuten erklären, was es bedeutet, einen Blindenführhund zu haben und dass sie ihn ohne Gefahr in ihr Geschäft oder Restaurant lassen können. Aber es gibt durchaus noch Fälle, in denen Blindenführhundhaltern der Zugang zu Lokalen, Supermärkten und anderen Einrichtungen verwehrt wird. Übrigens ein schönes Beispiel dafür, dass Inklusion oft eben keine Frage des Geldes, sondern eine Frage der Einstellung ist. Blindenführhunde und andere Assistenzhunde willkommen zu heißen, kostet nichts. Aber es ist ein wichtiger Schritt zur Inklusion.