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Udo Reiter

 

Der ehemalige Intendant des MDR, Udo Reiter, ist heute morgen tot aufgefunden worden. Auch wenn ich ihn nicht persönlich kannte, Udo Reiter war für mich als Teenager ein großes Vorbild. Einfach weil es ihn gab – als Medienmensch im Rollstuhl.

Ich wollte immer Journalistin werden. Ich bin in der ZDF-Stadt Mainz geboren, ich liebte schon immer die Mainzelmännchen und war von Kindesbeinen an ein Nachrichtenjunkie. Aber die Anzahl (sichtbar) behinderter Journalisten in der deutschen Medienlandschaft ist bis heute bedauerlich klein.

Wenn ich als Kind und Teenager gefragt wurde, was ich gerne werden möchte und sagte „Journalistin“, kam oft als Antwort von besserwisserischen Erwachsenen „Meinst du, du kannst das denn?“ oder „Du weißt, dass man als Journalistin schnell sein muss?“ und ähnlich dämliche Kommentare, die mir mehr oder weniger zu verstehen gaben, dass man als Rollstuhlfahrerin nicht Journalistin werden könne.

Selbst der Berufsberater des Arbeitsamts, der in unsere Schule kam, um uns alle zwangsweise zu beraten, lachte mich aus als ich ihm sagte, ich wolle Abitur machen, studieren und Journalistin werden – da hatte ich bereits diverse Schülerpraktika beim Fernsehen absolviert – aber mein Berufswunsch passte nicht in sein Weltbild. Er schlug mir stattdessen vor, Telefonistin zu werden. Das würde er allen Rollstuhlfahrern raten.

Irgendwann als Teenager hörte ich von Udo Reiter. Ich war sehr erfreut zu erfahren, dass der Intendant des MDR im Rollstuhl sitzt. Allein seine Existenz war für mich irgendwie eine Erleichterung und der Beweis, dass man auch als Rollstuhlfahrer was mit Medien machen kann.

Ich konnte nun auf die dämlichen Fragen der Erwachsenen antworten: „Kennen Sie nicht Udo Reiter? Der ist sogar Intendant und sitzt im Rollstuhl. Ich will ja nur Journalistin werden. Das geht schon.“ Und nicht nur das. Es war auch für mich persönlich eine Bestätigung, dass mein Berufswunsch nicht völlig absurd ist, wie manche Leute meinten.

Wohl fast jeder Mensch hat Vorbilder. Ich habe während der Schülerpraktika und auch später tolle Journalisten getroffen, die mir Mut gemacht haben, Journalistin zu werden. Aber zu wissen, es hat auch schon jemand vor mir im Rollstuhl geschafft, eine Medienkarriere einzuschlagen, war wirklich ermutigend, vor allem weil Reiter seine Behinderung bereits hatte, als er seine Karriere startete, und nicht einen Unfall hatte, als er schon etablierter Medienmann war.

Udo Reiter hat seine Behinderung nie groß zum Thema gemacht als er noch Intendant war. Trotzdem war er eine Identifikationsfigur für mich, gerade weil er Rollstuhlfahrer war. Nur einmal habe ich mir gewünscht, er hätte schon als Intendant ein bisschen mehr dazu gesagt: Als ich als Volontärin zum MDR musste und mich in Leipzig über das Kopfsteinpflaster auf dem Hof vor dem Gebäude quälte, sagte der Pförtner zu mir: „Der Intendant fährt deshalb immer ganz bis zur Tür mit dem Auto. Der hat da auch zu kämpfen.“

Später habe ich ihn in einigen Talkshows gesehen und war ganz froh, dass ich als Teenager nicht bemerkt habe, dass wir wohl nicht viel gemeinsam haben, was die Einstellung zu verschiedenen Themen angeht. Aber dennoch brauchen junge Leute Vorbilder, mit denen sie sich identifizieren können, um Mut zu fassen, einen ähnlichen Weg zu gehen, vor allem dann, wenn irgendwelche Außenstehenden glauben, diesen Weg infrage stellen zu dürfen. Dafür müssen diese Vorbilder gar nicht viel tun. Es muss sie einfach geben. Ich bin froh, dass es damals Udo Reiter gab, der für mich der Beweis war, es geht. Bleibt zu hoffen, dass alle behinderten Kinder und Jugendlichen solche Vorbilder finden.