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Die Sache mit der Fragerei

 

Es gibt wohl kaum eine Frage in meinem Leben, die ich so häufig beantwortet habe, wie die Frage „Warum sitzen Sie denn im Rollstuhl?“. Diese Frage kommt auch manchmal in Form von „Hatten Sie einen Unfall?“, „Sitzen Sie schon immer im Rollstuhl?“ oder auch „Was ist denn mit Ihnen?“ daher. Ich werde das in allen möglichen und unmöglichen Lebenssituationen gefragt: In der Fußgängerzone, beim Bäcker, im Wartezimmer, im Bewerbungsgespräch, beim Essen in der Kantine, vor Flughafentoiletten.

Die Antwort auf die Frage ist eigentlich schnell erklärt und geht laienhaft so (die Mediziner mögen mir das verzeihen): „Ich bin querschnittgelähmt. Ich habe eine Spritze bekommen, die ich nicht gebraucht hätte und der Arzt hat Arterie und Vene verwechselt. Das Medikament hat deshalb die Nerven im Rückenmark zersetzt.“ In der Mehrheit der Fälle beantworte ich die Frage ohne mit der Wimper zu zucken. Aber es gibt Ausnahmen.

Auf das „Wie“ kommt es an

Es war der erste kulturelle Unterschied, der mir auffiel, als ich nach Großbritannien zog. Im Gegensatz zu Deutschland und Österreich, fragen die Briten diese Frage so gut wie nie. Nicht einmal Freunde. Die warten ab, bis ich von mir aus erzähle, warum ich Rollstuhlfahrerin bin. Ich will nicht sagen, dass ich die Fragerei vermisse, aber spätestens wenn in der U-Bahn wieder jemand fragt, weiß ich, ich bin wieder in Deutschland. Die Briten empfinden die Frage als distanz- und respektlos.

Ich habe keine Probleme damit, die Frage zu beantworten. Für mich ist die Antwort darauf weit weniger spektakulär als für die Menschen, die sie mir stellen. Aber manchmal beantworte ich sie dennoch nicht. Dann nämlich, wenn ich das Gefühl habe, jemand fragt respektlos. Mit respektlos meine ich zum Beispiel das Hinterherplärren in Fußgängerzonen oder das Rufen durch den ganzen Linienbus.

Gerne ist der Frage in diesen Fällen dann die Silbe „Ey“ vorangestellt und man duzt mich. Alles schon erlebt. Und auch beantworte ich die Frage nur noch ungerne, wenn sich die fragende Person nicht wenigstens zwei Minuten lang mit mir über das Wetter unterhalten oder sonst irgendeinen Bezug zu mir hergestellt hat.

Ich finde, das hat einfach mit Respekt zu tun. Ich bin von Natur aus ein neugieriger Mensch. Das ist einer der Gründe, warum ich Journalistin geworden bin. Aber selbst ich kann meine Neugierde zügeln, wenn ich auf der Straße jemanden sehe, dessen körperliches Merkmal ich mir nicht erklären kann. Ich muss nicht unbedingt wissen, wie alt der Mann ist, der so viele Falten im Gesicht hat und ich muss auch nicht jede Hauterkrankung kennen. Jedenfalls dann nicht, wenn die Gefahr besteht, dass ich dem Menschen zu nahe trete, wenn ich ihn darauf anspreche, und das möchte ich nicht.

Man muss die Wahrheit schon vertragen können

Manchmal verläuft die Konversation über die Ursache meiner Querschnittlähmung aber auch völlig schräg. Dann nämlich, wenn ich an Leute gerate, die sich erhoffen, ich erzähle ihnen eine Geschichte, nach der sie anschließend nach Hause gehen können mit dem guten Gefühl, dass ihnen das ja nicht passieren könne. Dafür eignet sich meine Antwort ja nun gar nicht. Schon wenn sie die Worte „Querschnittlähmung, Arzt und Spritze“ gehört haben, sagen sie mir, ich solle aufhören. Das wollten sie dann doch nicht hören. Das sind dann wohl die Leute, die hoffen, ich erzähle ihnen, ich hätte mich mit 3 Promille Alkohol im Blut mit dem Auto um einen Baum gewickelt oder ich hätte beim Bungeespringen mein Seil vergessen.

Erst zu fragen, dann aber die Antwort nicht auszuhalten, finde ich allerdings auch nicht gerade respektvoll, passt aber zu der nicht wenig verbreiteten Annahme, dass man von Behinderung in jedem Fall ein Leben lang verschont bleibt. In dem Moment realisieren die Menschen dann, dass ich unbewusst an diesem Weltbild rüttele. Wer also neugierig genug ist zu fragen, muss am Ende die Wahrheit schon vertragen können.

Im Geschäftsleben

Ja, vielleicht bin ich da eigen, aber ich möchte nicht gerne an der Hotelrezeption oder beim Check-In am Flughafen die Ursache meiner Behinderung diskutieren. Andere Kunden werden auch nicht nach ihrem Privatleben oder ihrem Gesundheitszustand befragt. Etwas anderes ist es, wenn ich nach meinem Hilfebedarf gefragt werde. Kein Problem. Das empfinde ich sogar als zuvorkommend, wenn jemand fragt, wie er mir am besten helfen kann. Dafür muss er aber nicht wissen, warum ich im Rollstuhl sitze. Servicemitarbeiter, die solche privaten Fragen stellen, empfinde ich zumindest als nicht sehr professionell.

Kinder dürfen alles

Ganz anders sieht die Sache bei Kindern aus. Die fragen oft sehr direkt und das finde ich gut. Denn sie fragen nie respektlos, sondern wirklich aus Interesse. Die halten auch die Wahrheit aus. Und wenn die Fragen nach der Ursache und warum meine Beine nicht so wie ihre funktionieren abgehakt sind, interessieren sie sich sowieso mehr für die technischen Möglichkeiten des Rollstuhls. Man braucht Kindern deshalb auch nicht den Mund zu verbieten, wie das manche Eltern immer noch tun. Denn vielleicht werden sie so zu den respektlosen Erwachsenen, die dann völlig übergriffig fragen, was sie als Kinder nie fragen durften.