Wenn zwei Menschen sich lieben und nicht alleine miteinander schlafen können, welche Hilfe können sie von anderen erwarten? Dieser Frage geht der kanadische Kurzfilm Nimm mich (Prends-moi) aus dem Jahr 2014 nach, der jetzt im Internetangebot des Fernsehsenders Arte zu sehen ist.
Ein Pfleger arbeitet seit Kurzem in einem Heim für behinderte Menschen. Er hilft ihnen bei ihrer täglichen Körperpflege. Das Heim hat ein sogenanntes Intimitätszimmer, in dem die Bewohner Sex haben können. Womit der Pfleger nicht gerechnet hat: Zu seinen Aufgaben gehört es auch, denen zu assistieren, die dort Sex haben möchten. Es ist ihm sichtlich unangenehm und irgendwann bittet er um eine Gespräch mit seiner Vorgesetzten, die ihm lediglich sagt, es stehe ihm frei, sich bei seiner Gewerkschaft zu beschweren.
Intimitätszimmer
Die Idee zu dem Film hatten die beiden Filmemacher Anaïs Barbeau-Lavalette und André Turpin, als sie für einen anderen Film recherchierten und in einer Behinderteneinrichtung von einem Intimitätszimmer hörten, das gerade eingerichtet worden war. Anaïs Barbeau-Lavalette, geboren 1979, ist sowohl Schauspielerin als auch Filmemacherin und stammt aus der Region Québec. André Turpin wurde 1966 geboren und studierte an der Concordia University. Er ist ein sehr gefragter Kameramann in Kanada.
Leider merkt man dem Film sehr stark an, dass er von zwei nicht behinderten Filmemachern konzipiert und erdacht wurde. Die Perspektive auf den Film ist eine stark nicht behinderte. Es scheint für die Filmemacher völlig normal zu sein, dass zwei körperlich behinderte junge Leute in einem Heim wohnen, das einem Krankenhaus gleicht.
Steril
Auch das Intimitätszimmer sieht eher aus wie ein Behandlungsraum eines Krankenhauses als ein Zimmer, in dem Menschen miteinander intim werden wollen. Der Pfleger trägt Handschuhe, ebenfalls wie im Krankenhaus, und spricht kaum mit den jungen Leuten, denen er Sex ermöglichen soll. „Will man unter solchen Voraussetzungen überhaupt Sex haben? Geht das nicht auch anders?“, habe ich mich gefragt. Warum wird von behinderten Menschen erwartet, dass sie einander unter solch sterilen Umständen nahekommen?
Während die Filmemacher in einem Interview die Einrichtung eines Intimitätszimmers als extrem fortschrittlich empfinden, hatte ich während des Films ganz andere Fragen: Warum müssen die behinderten Menschen dort überhaupt im Heim leben? Warum nicht mit persönlicher Assistenz in den eigenen vier Wänden, in denen man auch eher selbstbestimmt und mit weniger peinlich berührtem Personal intim werden kann? Dann könnten sie sich auch aussuchen, wer ihnen hilft, und die Person könnte gleich vor der Einstellung sagen, dass sie derartige Assistenz nicht leisten kann oder will, und man sucht sich anderes Personal.
Dass das durchaus möglich ist, zeigt ein Text im Blog Einfach Katja. Die Bloggerin Katja steht vor einer ähnlichen Herausforderung wie das Paar in dem Kurzfilm: Sie braucht Assistenz, um mit ihrem Freund Sex haben zu können. Dafür nutzen die beiden Sexualassistenten, die aber 400 Euro kosten.
Auf Facebook entstand zu dem Film und auch zum Blogeintrag von Katja eine interessante Diskussion. Einige fanden, Katja würde zu freizügig schreiben. Man müsse nicht alles vor der Welt ausbreiten. Ich teile diesen Einwand nicht, zumal ich glaube, dass der Text anderen in einer ähnlichen Situation helfen kann, einen Weg für sich selber zu finden. Aber ich kann verstehen, dass einigen das angesagte Thema „Sex und Behinderung“ auf die Nerven geht. Denn ich habe zunehmend das Gefühl, es wird viel zu viel gequatscht und theoretisiert, statt es einfach zu machen. Ein bisschen mehr Leichtigkeit würde dem Thema wirklich guttun – in Filmen wie auch in Wirklichkeit.