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Eurovision Song Contest barrierefrei mit Bildbeschreibung und Gebärden

 

Wenn am 23. Mai das Finale des Eurovision Song Contest (ESC) in die europäischen Wohnzimmer übertragen wird, dann ist es wohl die barrierefreieste Show, die der Wettbewerb in seiner fast 60-jährigen Geschichte je gesehen haben wird. Der ORF setzt als ausrichtende Sendeanstalt in diesem Jahr neue Maßstäbe in Bezug auf die Barrierefreiheit der Sendung. Der österreichische Sender nimmt das ESC-Motto „Building Bridges“ (Brücken bauen) offenbar ernst.

So werden die beiden Halbfinals am 19. und 21. Mai sowie das Finale für gehörlose und schwerhörige Zuschauer untertitelt. Die Lieder werden in der jeweiligen Originalsprache des Textes – zum Großteil auf Englisch – mit Untertiteln ausgestrahlt. Die Moderationen werden live auf Deutsch untertitelt.

Für blinde und sehbehinderte Menschen werden alle drei Shows zudem live mit einer Audiodeskription versehen. Diese Bildbeschreibungen werden, wie üblich, auf einer zweiten Tonspur übertragen und können mit der Audio-Taste auf der Fernbedienung abgerufen werden.

„Eurovision Sign“

Das gab es auch schon bei vergangenen ESC-Sendungen in anderen Ländern. Neu hingegen ist „Eurovision Sign“: Erstmals wird für gehörlose Menschen die Sendung auch mit internationalen Gebärden angeboten. Die Lieder sowie die Live-Bühnenmoderationen und die jeweiligen Zuspielungen werden in International Sign übersetzt und von gehörlosen Darstellern präsentiert.

Für die beiden Semifinal-Shows wird „Eurovision Sign“ via Livestream übertragen; bei der Finalshow ist die „Eurovision Sign“-Version zudem auf ORF 2 Europe zu sehen. Außerdem hat der ORF diese Inhalte den beteiligten nationalen Sendern als Teil des ESC-Gesamtpakets angeboten. Die Sender müssen also nichts extra zahlen, um auch die Gebärdensprachversion online oder im Fernsehen anbieten zu können.

Allein die Produktion von „Eurovision Sign“ mit Gebärdensprachdolmetschern und gehörlosen Darstellern kostet den Sender nach eigenen Angaben rund 130.000 Euro zusätzlich.

750.000 Gebärdensprachnutzer in Europa

Für den ORF passt die Gebärdensprachversion des ESC gut zum Motto des diesjährigen Wettbewerbs: Der ORF sei angetreten, um mit dem Motto „Building Bridges“ auch über sprachliche Grenzen hinweg die Menschen in Europa zu verbinden, sagte mir Sissy Mayerhoffer vom ORF. „Mit der Entscheidung, den ‚Eurovision Sign‘ mit Internationalen Gebärden zu präsentieren, bietet der ORF jenen 750.000 Menschen in Europa, die ausschließlich in Gebärdensprache kommunizieren, einen einzigartigen verbindenden Event.“

Trotzdem gab es am ORF-Konzept bereits Kritik, weil die Gebärdensprachversion nur auf ORF 2 Europe zu sehen sein wird und nicht im Hauptprogramm. Das Gegenargument des ORF: Die Einblendung der Dolmetscher würde ein Drittel des Bildschirms ausfüllen, und die Mehrheit des Publikums empfände das als störend. Andere europäische Sender werden das vermutlich ähnlich sehen und die Gebärdenspracheinblendung auf einen anderen Kanal legen oder nur online anbieten.

Mit Gebärdensprache zum YouTube-Hit

Dass sich auch hörende Zuschauer für Gebärdenspracheinblendungen begeistern können, zeigte vor Kurzem ein Video des schwedischen Fernsehens, das sich rasant im Internet verbreitete. Zu sehen ist ein Gebärdensprachdolmetscher, der den schwedischen ESC-Vorentscheid mit so viel Elan übersetzte, dass das Video zum YouTube-Hit wurde.

Bleibt zu hoffen, dass dieser ESC eine Signalwirkung entfaltet, um die barrierefreien Angebote europäischer Fernsehsender insgesamt zu verbessern. Ein barrierefreier ESC macht noch kein barrierefreies Fernsehangebot im Rest des Jahres. Man darf nicht vergessen, dass weder die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender noch der ORF es bislang geschafft haben, ihr Programm 24 Stunden am Tag zu untertiteln, wie das in den USA und Großbritannien bereits seit Jahren der Fall ist. Nicht einmal die Heute Show im ZDF wird derzeit untertitelt. „Building Bridges“ ist ein tolles Motto – solange man diese Brücken nicht nach dem ESC wieder abreißt.