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Tragende Freundschaft

 

Jeden Tag wird der chinesische Teenager Zhang Chi von seinem Freund Xie Xu Huckepack zur Schule getragen und nach der Schule wieder nach Hause. Seit drei Jahren geht das schon so, denn Zhang Chi hat Muskeldystrophie und kann aufgrund dieser fortschreitenden Beeinträchtigung nicht mehr laufen. Seine Muskelkraft lässt immer mehr nach.

Rund um die Welt verbreitete sich die Geschichte über das Wochenende via Twitter und Facebook. Der Tenor war fast immer der Gleiche: So eine tolle Geschichte. So eine tolle Freundschaft.

Huckepack überall hin

Jeden Tag trägt Xie Xu seinen Freund dorthin, wohin andere Menschen zu Fuß gehen: Nicht nur zur Schule, auch ins Wohnheim oder in die Kantine. Er hilft ihm auch beim Essen oder beim Waschen seiner Kleidung.

Der stellvertretende Schuldirektor wird begeistert zitiert, wie inspirierend und berührend die Geschichte doch sei. Immerhin seien die beiden Schüler nicht verwandt und dennoch sei der eine bereit, dem anderen seit Jahren zu helfen. Auch auf andere Schüler habe diese Hilfsbereitschaft positiven Einfluss gehabt. Sie würden dem behinderten Schüler inzwischen gerne helfen. Noch nie habe Zhang Chi eine Unterrichtsstunde verpasst. Und um die Geschichte perfekt zu machen, sind beide sehr gute Schüler und möchten nach der Schule studieren gehen. Hurra!

Mangel an Hilfsmitteln

Nun könnte ich mich für diese Geschichte durchaus begeistern, wenn wir in einer Zeit leben würden, in der das Rad noch nicht erfunden wäre und auch der Rollstuhl dementsprechend erst gebaut werden müsste. Wir leben aber in einer Zeit, in der es auch in China Rollstühle gibt – nur eben nicht für jeden.

Diese Geschichte ist eigentlich eine über den Mangel an Hilfsmitteln in vielen Ländern der Erde, auch in Schwellenländern. Ich bin es unterdessen gewohnt, dass mir Leute auf Reisen, vor allem in Asien, auf der Straße Geld anbieten, weil sie meinen Rollstuhl für irgendeinen Verwandten kaufen möchten. In vielen Schwellenländern krabbeln Menschen, die nicht gehen können, einfach auf dem Boden herum. Auch Schubkarren sind ein durchaus übliches Fortbewegungsmittel für gehbehinderte Menschen.

In der Tat ist es eine enorme Leistung, als Teenager jemanden jeden Tag durch die Gegend zu tragen. Nur die einseitigen Reaktionen auf diese Geschichte verstehe ich nicht. Ist es nicht viel mehr empörend, dass jemand mit einer derartigen Behinderung in China offensichtlich keinen Zugang zu einem angemessenen Hilfsmittel hat, mit dem er zur Schule rollen kann? Hat mal irgendjemand überlegt, was es für einen sich im Wachstum befindlichen Jugendlichen bedeutet, jeden Tag jemanden auf dem Rücken herumzutragen? Und nicht zuletzt, was bedeutet es für einen gehbehinderten Teenager, dass er immer auf einen anderen angewiesen ist? Ich kann an dieser Geschichte wenig Grund zum Jubeln und zum Inspiriertsein finden.