Ein zehnjähriger Junge findet seinen Autismus peinlich und sieht sich selbst als defekt an. „Wie kann man dem Jungen nur helfen?“, fragte jemand auf Twitter. Zwei Frauen, die selbst Autistinnen sind, sahen die Frage und hatten spontan eine Idee: Sie wollten dem Jungen Briefe schreiben und erzählen, wie sie selbst mit Autismus umgehen und damit zu leben gelernt haben. Sie rufen andere Autisten dazu auf, dem Jungen einen Brief zu schreiben, den sie auf Tumblr veröffentlichen.
Sie wollen nicht nur diesem Jungen helfen, sondern vielen anderen Kindern, die in einer ähnlichen Situation sind und sich fragen, wie sie mit ihrer Behinderung umgehen sollen. Die Idee dahinter: Alle Autisten waren mal zehn Jahre alt und das Aufwachsen war für die meisten alles andere als leicht. Sie könnten den Kindern vielleicht helfen, Autismus als Teil von sich anzunehmen und herauszufinden, wie großartig es auch sein kann, anders zu sein.
Fast 40 Briefe
Die Resonanz ist enorm. Viele Erwachsene folgten dem Aufruf, dem Jungen einen Brief zu schreiben. Unterdessen sind fast 40 Briefe eingegangen. Die Briefeschreiber kommen aus verschiedenen Zusammenhängen, einige sind selber noch recht jung. Andere schauen auf Jahrzehnte eines Lebens mit Autismus zurück.
Viele Briefeschreiber waren im Alter des Jungen noch gar nicht diagnostiziert. Sie wussten nicht, dass es Autismus gibt und dass sie davon betroffen sind. Viele galten einfach als eigensinnig oder einfach komisch.
„Als ich in deinem Alter war, fand ich alles doof, zumal ich damals auch noch nichts wusste von meiner Diagnose und überhaupt nicht verstehen konnte, warum alles so ist wie es ist. Hört sich jetzt sicher etwas kompliziert an, aber damals glaubte ich, an mir sei einfach alles verkehrt und ich war ständig auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Ich probierte so viel aus und scheiterte genau so oft.“, heißt es in einem der Briefe. Viele Briefeschreiber berichten von ähnlichen Erfahrungen, manche waren Mobbing ausgesetzt und galten als Außenseiter.
Es ist okay, anders zu sein
Dennoch haben die meisten Briefe eine sehr positive Grundstimmung. Sie erzählen davon, dass es ist okay ist, anders zu sein und Autismus ist gar nicht so doof, wie der Junge derzeit glauben mag. So schreibt jemand:
„Als Kind weinte ich sehr viel und wünschte mir, ich würde einfach von dieser Welt verschwinden. Doch es ist gut so, dass das nicht passiert ist und dass ich erwachsen geworden bin. Denn ich habe nun ein sehr schönes Leben. Ich habe einen Beruf, den ich sehr mag und tolle Freunde, die meine ‚autistischen Superkräfte‘ gut finden. Wir Autisten können nämlich manches viel besser als normale Menschen. Ich zum Beispiel weiß sehr viel über Literatur und über Filme. Und ich kann gut Texte und Bücher schreiben.“
Und dass sich die Gesellschaft insgesamt verändert, was den Umgang mit Autismus angeht, auch das kann man aus den Briefen lesen:
„Immer mehr Menschen interessieren sich für uns Autisten und für die Talente und Superkräfte, die wir haben. Sie finden uns spannend und wollen wissen, wie wir das alles machen und schaffen.“
Noch hat der Junge die Briefe nicht gelesen. Er will sich damit Zeit lassen. Fast 40 Briefe von wildfremden Menschen zu erhalten, ist als Kind vielleicht zunächst irritierend. Trotzdem ist die Botschaft der Briefe jetzt schon klar: Du bist nicht alleine. Wenn man als Kind eine Behinderung hat, hat man oft das Gefühl, man sei der einzige Mensch mit dieser Behinderung und alle anderen seien „normal“. Es kann sehr erhebend sein festzustellen, dass dem nicht so ist und dass andere gelernt haben, mit der gleichen Behinderung gut zu leben.