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„Behindert“ als Schimpfwort

 

„Das ist doch behindert“ ist leider unterdessen zu einem Standardsatz auf deutschen Schulhöfen geworden. Das Wort „behindert“ ist in die Jugendsprache eingezogen, allerdings als Schimpfwort. Nun hat sich auch ein YouTube-Star dieses Wortes bedient, doch bei Twitter kam das gar nicht gut an. Am Ende stand eine Entschuldigung.

#UNGEhindert

#UNGEhindert war am Sonntagabend auf Twitter eines der meistgenutzten Worte in Deutschland. Damit reagierten Twitter-Nutzer auf einen Tweet des YouTubers Simon Unge. Fast eine Million Follower hat der Video-Star auf Twitter, vor allem junge Leute zählen zu seinen Fans. Hunderttausende sehen seine Videos. Unge hatte das Wort „behindert“ als Beleidigung auf Twitter benutzt. Unterdessen hat er den Tweet gelöscht.

Der Rollstuhlfahrer und Aktivist Raul Krauthausen kritisierte als einer der Ersten diese Wortwahl und die diskriminierende Sprache Unges.

Das Problem: Unge ist keineswegs der einzige, der das Wort „behindert“ als Schimpfwort benutzt. Es ist unter Jugendlichen längst normal, sich so zu beschimpfen. Etwas ist „behindert“ ist eine Standardfloskel, um etwas schlecht zu machen. Das Wort „schwul“ hat in den vergangenen Jahren eine ähnliche Karriere gemacht. „Behindert“ und „schwul“ sind nicht mehr neutrale Beschreibungen eines Menschen, sondern sie sind zu Schimpfwörtern geworden.

Neulich sagte mir ein junger Mann in einer Mitarbeiterschulung, die ich gehalten habe, er würde das Wort „behindert“ gar nicht nutzen, denn das sei ja ein Schimpfwort. Er kannte das Wort als neutrale Beschreibung von Menschen mit Behinderungen überhaupt nicht. Er kannte es nur als Schimpfwort.

Herkunft unbekannt

Die Sprachwissenschaftlerin Nora Sties hat sich mit der Nutzung behinderungsbezogener Sprache als Schimpfwörter beschäftigt. Viele Jugendliche seien sich über die Herkunft der Worte gar nicht bewusst. Die meisten Jugendlichen hätten keine Ahnung, was beispielsweise „Spastiker“ wörtlich meint.

Bei einer Umfrage unter Schülern gaben knapp 70 Prozent an, dass „Spasti“ einfach ein Schimpfwort sei, sagte Sties in einem Interview mit der Aktion Mensch. So diene auch das Wort „behindert“ universell zur Abwertung sämtlicher Sachverhalte. Dass es sich bei „Spasti“ um eine Behinderungsform handelt, war laut Sties gerade mal 20 Prozent der Befragten klar. Von Bewegungsstörungen der Muskulatur wusste kaum einer etwas. Wenn „behindert“ aber stetig als Schimpfwort benutzt wird, könne diese negative Komponente in der ursprünglichen Bedeutung in Bezug auf Personengruppen verstärkt werden, so Sties.

Entschuldigung vielleicht mit Happy End

Unterdessen hat sich Simon Unge für seine Wortwahl entschuldigt. Er habe selbst viele Jahre in einer Einrichtung für geistig behinderte Menschen gearbeitet. Er habe „schneller getippt als nachgedacht“, schreibt er. Und weiter: „find es selber wirklich dumm sowas als negativen Ausdruck zu verwenden, schäme mich echt dafür“. Er arbeite daran, seine Fehler zu erkennen und zuzugeben.

Und vielleicht endet das Ganze doch noch mit einem Happy End, denn Raul Krauthausen hat ihm daraufhin den Vorschlag gemacht, doch mal ein gemeinsames Projekt zu machen. Da könnte man dann zum Beispiel dem jugendlichen YouTube-Publikum dann erklären, warum „behindert“ ein ziemlich bescheuertes Schimpfwort ist.