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Mit YouTube gegen Berührungsängste

 

Mit YouTube gegen Berührungsängste
Bild: Aktion Mensch

Nichtbehinderte treffen auf behinderte Menschen – und sind dann oft erst mal ratlos, wie sie sich verhalten sollen. Die Aktion Mensch hat im Frühjahr eine Kampagne zum Thema Berührungsängste gestartet. Und in Großbritannien fordert die Organisation Scope bereits im zweiten Jahr zusammen mit dem Fernsehsender Channel4 End the awkward (Beendet das Unbehagen).

Berührungsängste beim Casting

Mit einem Film über ein ungewöhnliches Casting für einen Werbespot bemüht sich die Aktion Mensch um den Abbau von Berührungsängsten zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen.

„Berührungsängste?“, fragt der Regisseur zu Beginn des Castings. „Glaub nicht, nee“, antwortet die Bewerberin. Was sie und rund 20 weitere Castingbewerber nicht wissen: Im nächsten Moment treffen sie vor laufender Kamera unvorbereitet auf eine zweite Person, mit der sie das Casting gemeinsam bestreiten müssen. Diese Paarkonstellationen bestehen jeweils aus einem Menschen mit und einem ohne Behinderung. Der etwa fünfminütige Film Das erste Mal zeigt, wie sich die beiden Mitwirkenden, die sich vorher noch nie getroffen haben, zum ersten Mal begegnen.

Benimmregeln gegen Unsicherheit

Scope hingegen gibt mehr oder weniger Benimmtipps, um Berührungsängste abzubauen. Moderator Alex Brooker, der selbst behindert und ein bekannter Fernsehstar in Großbritannien ist, erklärt, wie man sich richtig verhält.

Warum man sich nicht so komisch zu Rollstuhlfahrern runterbeugen soll wie zu einem Kind:

Oder wie man sich bei einem Bewerbungsgespräch verhalten soll, wenn der Bewerber nur einen Arm hat:

Aber die Kampagne in Großbritannien stößt nicht nur auf Begeisterung.

Kritik an britischer Kampagne

Einige behinderte Aktivisten kritisierten die teilweise verwirrende Botschaft der Videos und auch, dass überhaupt so viel Geld für eine derartige Kampagne ausgegeben werde, statt sich wirklich wichtigen Belangen in Bezug auf behinderte Menschen zu widmen.

Bob Williams-Findlay, der ehemalige Vorsitzende des British Council of Disabled People beschrieb die Kampagne von Scope als „scheinheilig“ und als „bevormundend“. „Ich finde, es ist merkwürdig, dass im 21. Jahrhundert Wohltätigkeitsorganisationen immer noch peinlichen Mist im Namen von Menschen produzieren, die in der Lage wären, es besser zu machen“, sagte er.

Ich kann die Kritik durchaus verstehen, denn als ich die Scope-Videos sah, habe ich mich auch gefragt: Waren wir nicht schon mal weiter? Und erzeugen Kampagnen, die zum normalen Umgang auffordern, nicht genau das Gegenteil von dem, was sie eigentlich erreichen sollen? Wenn man ständig vor Augen geführt bekommt, wie angeblich unnormal der Umgang mit behinderten Menschen noch immer ist, dann wird der unnormale Umgang als normal angesehen.

Unsicherheit ist nicht das Problem

Ja, man begegnet schon ab und zu Menschen, die sich komisch verhalten, weil man im Rollstuhl sitzt zum Beispiel. Ich befürchte nur, die erreicht man auch mit einer Kampagne nicht. Die bräuchten vielmehr einen Kurs in Sozialkompetenz und manchmal einfach auch nur einen Benimmkurs.

Ich finde es generell nicht so schlimm, wenn Menschen einfach nur unsicher, aber bemüht sind. Viel schlimmer sind die Selbstsicheren, die meinen, sie wissen schon alles: „Das haben wir immer so gemacht! Das haben wir noch nie gemacht! Da könnte ja jeder kommen!“ Da sind mir die, die fragen: „Wie kann ich Ihnen helfen? Ich weiß nicht, was ich genau machen soll?“ erheblich lieber.