Wenn man mir gesagt hätte, dass ich meine Freizeit mal als Lageristin und „Türsteherin“ verbringen würde, ich hätte vermutlich laut gelacht: Warum soll ich sowas tun? Das sind nun wirklich nicht die Jobs, die man sich als Rollstuhlfahrerin normalerweise aussucht. Aber seit mehr als einer Woche verbringe ich meine Freizeit mit genau diesen Tätigkeiten beim Train of Hope am Hauptbahnhof in Wien.
Warenannahme statt Behördengänge
Eigentlich war mein Plan, Behördengänge mit Flüchtlingen zu machen. Mit Behörden kenne ich mich aus. Ich war schließlich oft genug da und Öffentliches Recht hatte ich im Nebenfach. Und Behörden sind meist barrierefrei. Aber es kommt ja im Leben immer anders als man denkt. Denn man braucht für Behördengänge nicht nur ein bisschen Sachverstand, sondern in dem Fall auch Arabisch- oder Farsikenntnisse und die habe ich nicht. Und so bin ich über Umwege zum Hauptbahnhof als Helferin gekommen.
In den ersten Tagen habe ich in der Warenannahme gearbeitet, habe Ware angenommen und sortiert. Da braucht man gute Bauchmuskeln für, denn die Ware steht auf dem Boden und man muss sich ständig bücken. Schon am ersten Tag fiel mir auf, dass die Leute manchmal etwas irritiert waren, wenn ihnen eine Rollstuhlfahrerin die Ware abnehmen wollte. Ich sprach die Menschen dann immer direkt an, welche Ware sie denn dabei hätten und dann war das Eis gebrochen.
Deos und Einmalrasierer
Ich hatte auch ganz schnell ein sehr ausgefeiltes System, wie ich die Ware annahm. Hygieneartikel konnte ich selber einräumen, große Lebensmittel stellte ich in eine Box, die andere einsortierten. Auch meine Wurffähigkeit habe ich im Warenlager in diesen Tagen enorm verbessert. Stand eine Box zu weit weg oder ich kam nicht durch, habe ich die Ware einfach hineingeworfen. Deos und Einmalrasierer eignen sich dafür sehr gut.
Die Organisation beim Train of Hope am Hauptbahnhof ist eine Privatinitiative, die sehr hierarchiefrei arbeitet. Dafür kann man viel eigenverantwortlich machen. Es ist gar kein Problem, andere Helfer um Hilfe zu bitten oder sich die Arbeit aufzuteilen, wie es einem eben gut passt. Ich habe selten Menschen erlebt, die unter so einem Stress wie dort arbeiten, aber immer noch voll motiviert und gut gelaunt bei der Sache sind.
Rollstuhlfahrerin als Türsteherin
Aber es begegnen einem auch am Hauptbahnhof die gleichen Vorurteile wie im normalen Leben. Als ich gestern einem Mann eine Tasche abnehmen wollte, um sie zur Warenausgabe zu bringen, weil sie dort dringend benötigt wurde, sagte er: „Das können Sie doch nicht im Rollstuhl.“ Kann ich natürlich doch. Und wenn es doch nicht geht, steht ja gleich ein Helfer um die Ecke, der mir helfen kann. Man arbeitet eben Hand in Hand – ob behindert oder nichtbehindert.
Als ich meine erste Schicht als „Türsteherin“ antrat, sagte ein anderer Helfer: „Sind die deppert, eine Rollstuhlfahrerin für den Job einzuteilen?“ Nachdem ich stundenlang Menschen abgewiesen, den Weg gewiesen, Besucher weggeschickt hatte, die nur gaffen wollten, und tausend Mal Flüchtlingen den Weg zum Eingang der Warenausgabe erklärt hatte, war allen Beteiligten klar: Die kann das.
Immer mehr behinderte Helfer
Und es gibt immer mehr Helfer mit Behinderungen. Alle suchen sich die Aufgabe, die sie bewältigen können. Es ist eine enorme Leistung der Zivilbevölkerung, die Versorgung der Flüchtlinge dermaßen zu unterstützen oder sogar ganz zu übernehmen. Ich glaube sogar, dass dieses gemeinsame Engagement für viele unvergessen bleiben wird. Umso wichtiger ist es, dass eben auch Menschen mit Behinderungen daran teilhaben können, wenn sie es möchten, denn es ist eine tolle Erfahrung, gemeinsam etwas zu schaffen, das direkten positiven Einfluss auf das Leben anderer Menschen hat. Und es bringt zudem auch noch behinderte und nichtbehinderte Menschen zusammen, die sonst nie miteinander gearbeitet hätten. Und diejenigen, die glauben, behinderte Menschen könnten sowieso nichts, werden spätestens dann eines besseren belehrt, wenn ihnen ein behinderter Helfer den Weg gewiesen oder die Waren angenommen hat.