Der Landtag von NRW hat den Themen Inklusion und Barrierefreiheit in der vergangenen Woche besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Okay, das war nicht ganz beabsichtigt, aber die Landtagsverwaltung hat eindrucksvoll gezeigt, wie man Sitzungen mit gehörlosen Experten nicht organisiert: ohne Gebärdensprachdolmetscher.
Zu einer Anhörung zum Thema Inklusion behinderter Menschen hatte man zwar zwei gehörlose Sachverständige geladen. Einen Gebärdensprachdolmetscher hatte der Landtag aber „so kurzfristig“ nicht gefunden, begründet der Landtag nun die Panne, denn das Treffen wurde zum Eklat. Der gehörlose Experte Martin Magiera hielt während der Sitzung ein Plakat in die Luft, auf dem stand „Ich bin taub!“, um darauf aufmerksam zu machen, dass er nicht verstehen kann, was gesprochen wird. Daraufhin wurde die Anhörung abgebrochen.
Flop des Tages im #ltnrw: Anhörung zur #inklusion ohne Gebärdendollmetscher. @inascharrenbach pic.twitter.com/PUgWGSdZNs
— Thomas Wallenhorst (@thowallo) 18. November 2015
Huch, da nehmen auch Gehörlose teil!
Der Landtag redet sich nun damit raus, dass man erst eine Woche vor dem Termin davon erfahren habe, dass auch zwei gehörlose Menschen an dem Termin teilnehmen wollen. Na, wie überraschend bei dem Thema! Und man habe den gehörlosen Experten angeboten, für sie einen eigenen Termin anzuberaumen. Das lehnten diese ab. Sie wollten zum eigentlichen Termin kommen– verständlicherweise. Wenn man für diesen keine Dolmetscher findet, muss dieser eben verschoben werden. Sonst handelt es sich nämlich gerade nicht um Inklusion.
Das ist übrigens nicht das erste Mal, dass sich der Landtag NRW mit dem Thema Inklusion etwas schwertut, um es einmal freundlich auszudrücken. Schon im vergangenen Jahr schaffte er es mit Organisationsschwierigkeiten in Bezug auf Barrierefreiheit in die Medien. Damals hieß es, ein rollstuhlfahrender Abgeordneter des Landtags könne nicht in die Türkei fahren. Das sei zu schwierig zu organisieren.
Zu viele behinderte Menschen angemeldet
Der Deutsche Bundestag hat sich allerdings auch schon schwer damit getan, Inklusion zu organisieren. 2011 sagten die Verantwortlichen die Veranstaltung zum Welttag der Menschen mit Behinderungen ab, weil sich zu viele behinderte Menschen angemeldet hatten – genauer gesagt: zu viele Rollstuhlfahrer. Ja, wer rechnet denn mit so was? Da macht man eine Veranstaltung zum Thema Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und die Leute, die teilhaben sollen, kommen auch noch?
Diese Fälle sind eigentlich nicht zu entschuldigen. Am Ende bleiben behinderte Menschen nämlich außen vor, als hätte sich gar nichts geändert. Früher kamen in Anhörungen keine gehörlosen Experten zu Wort, selbst wenn es um Belange von Gehörlosen ging. In den Landtagen saßen gar keine Rollstuhlfahrer.
Die Zeiten ändern sich
Zum Glück hat sich unterdessen aber doch viel geändert. Nur müssen sich die Verwaltungen erst darauf einstellen, dass es so ist. Und nicht nur Verwaltungen: Behinderte Menschen rücken immer mehr in die Mitte der Gesellschaft. Das ist gut so. Aber damit das auch wirklich gelingt und noch mehr wird, muss es normal werden, auf Dinge wie Gebärdensprachdolmetscher und barrierefreie Zugänglichkeit zu achten. Das ist nicht zuletzt eine Frage der Einstellung. Die Reaktion der Öffentlichkeit zeigt aber schon, dass die Achtlosigkeit gegenüber behinderten Menschen nicht mehr toleriert wird. Auch dass ein gehörloser Mensch mittels eines Plakats im Landtag selbst auf seine Diskriminierung hinweist, ist ein gutes Zeichen. Die Zeiten ändern sich. Jetzt müssen nur noch alle mitmachen.