„Heute ist der internationale Tag für Menschen mit Behinderung. Heute werden viele Aktionen angeboten, an denen ich nicht teilnehmen werde. Weil mein Tag ist morgen. Und übermorgen. Dann, wenn keine Aktionen sind und wenige mit sichtbarer Behinderung rausgehen.“ – Das schrieb heute eine befreundete Rollstuhlfahrerin zum 3. Dezember bei Facebook und ich kann ihren Unmut verstehen.
Es gibt zwei Tage im Jahr, an denen behinderte Menschen plötzlich in den medialen und politischen Fokus rücken: Am 3. Dezember, dem internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen und am 5. Mai, dem Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. So etwa alle sechs Monate geht es plötzlich um Inklusion und Barrierefreiheit, es gibt Podiumsdiskussionen und Sonntagsreden. Dann ist wieder für ein paar Monate Ruhe und es passiert so gut wie nichts medial und politisch um diese Themen. Es scheint fast so, als bräuchte man eine Entschuldigung, um sich damit zu befassen.
Segen und Fluch
„Internationale Tage“ und Protesttage sind Segen und Fluch zugleich. Sie weisen auf ein ansonsten oft vernachlässigtes Thema hin, aber tragen auch dazu bei, dass man sich darum normalerweise eher weniger kümmert. Man beschäftigt sich mit dem Problem genau an einem speziellen Tag – und dann ist gut. Die Lokalzeitung fragt zum Beispiel ein- oder zweimal im Jahr, wie barrierefrei eigentlich die jeweilige Stadt ist, statt diese Frage bei jedem neuen Gebäude zu stellen. Politiker schicken sonntagsredenartige Pressemitteilungen raus, betonen, wie sehr sie für Inklusion sind und was sie in diesem Bereich fordern. Und am Tag danach ist dann alles wieder vergessen. Bis zum nächsten internationalen Tag oder Protesttag eben.
Mit den Medien ist es genau das Gleiche. Statt das Thema Barrierefreiheit oder andere für behinderte Menschen relevante Themen beispielsweise in einem Mainstream-Verbrauchermagazin abzuhandeln – und zwar über das ganze Jahr verteilt immer mal wieder – landen sie fast immer nur in Sondersendungen zum Internationalen Tag für Menschen mit Behinderungen. So, als spielten sie zwischen Juni und November und zwischen Januar und April keine Rolle.
Alternativ werden entsprechende Themen häufig in spezielle Magazinen abgeschoben, die kaum einer schaut und deren journalistische Qualität teilweise sehr zu wünschen übrig lässt. Die BBC hat dagegen schon 1998 das Behindertenmagazin Does he like sugar? eingestellt und die klare Ansage gemacht, dass behindertenrelevante Themen künftig im gesamten Programm vorkommen sollen. Spätere Untersuchungen haben in der Tat gezeigt, dass diese sich wirklich weiterhin im Programm der BBC wiederfanden und sogar eher aufgewertet wurden. Sie fielen mit der Abschaffung des speziellen Magazins also nicht unter den Tisch, sondern bekamen einen anderen Stellenwert.
Wie wäre es also, wenn sich alle mal bemühen würden, die Themen Behinderung, Inklusion, Barrierefreiheit etc. auch zwischen Juni und November und zwischen Januar und April auf der Agenda zu halten – medial und politisch? Dann könnte man nicht nur auf „Sondermagazine“ im Fernsehen verzichten, sondern vielleicht sogar auf den internationalen Tag und den europäischen Protesttag. Protestieren gegen Chancenungleichheit und mangelhafte Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sollte man sowieso jeden Tag. Nicht immer auf der Straße vielleicht, aber im Kleinen allemal.