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Wegen Legasthenie diskriminiert

 

Meseret Kumulchew ist Mitarbeiterin in einer Starbucks-Filiale in London und lernbehindert. Weil sie Kühlschranktemperaturen nicht richtig abgelesen hatte, unterstellte ihr die Kaffeekette, sie wolle betrügen. Sie war dafür verantwortlich, zu einer bestimmten Uhrzeit Temperaturen der Kühlschränke und des Wassers zu notieren und in eine Tabelle einzutragen.

Arbeitgeber wusste Bescheid

Doch Kumulchew ließ sich das nicht gefallen und zog vor Gericht: Sie habe nicht wissentlich falsche Temperaturen in die Tabelle eingetragen. Sie habe Legasthenie. Das habe ihr Arbeitgeber auch von Anfang an gewusst. Trotzdem sei niemand auf ihre Lernbehinderung eingegangen.

In einem Interview mit der BBC sagte Kumulchew, sie sei eine visuelle Lernerin. Es genüge nicht, ihr etwas in kleiner Schrift aufzuschreiben, sondern sie müsse die Arbeitsschritte praktisch gezeigt bekommen. Legastheniker könnten sich Arbeitsanweisungen oft auch nicht merken, wenn sie sie nur verbal übermittelt bekämen. Ihr hätte es geholfen, jemanden an ihrer Seite zu haben, der ihre Eintragungen kontrolliert, bis sie sicherer geworden wäre, sagte sie.

Keine Betrügerin

Das Gericht gab der Starbucks-Mitarbeiterin recht. Diese hatte angegeben, der Umgang mit ihr und ihrer Behinderung hätte sie fast in den Selbstmord getrieben. „Ich bin keine Betrügerin“, sagte sie. Nur der Gedanke an ihre Kinder habe sie davon abgehalten, sich das Leben zu nehmen, nachdem ihr unterstellt wurde, die Eintragungen gefälscht zu haben. Dabei habe sie einfach Probleme mit kleiner Schrift, mit Zahlen und mit Uhrzeiten.

Starbucks wurde nun wegen Diskriminierung verurteilt. Wie die BBC berichtet, sah es das Gericht als erwiesen an, dass Starbucks versäumt habe, angemessene Vorkehrungen zu treffen, um der Behinderung der Mitarbeiterin gerecht zu werden. Denn die sind nach dem  britischem Antidiskriminierungsrecht, dem Equality Act 2010, vorgeschrieben.

Zudem sei die Mitarbeiterin von ihrem Arbeitgeber ungerecht behandelt worden, da dieser offensichtlich wenig bis gar nichts über Gleichstellung wusste, urteilte das Gericht. Das ist umso überraschender, als es sich bei Starbucks um ein US-amerikanisches Unternehmen handelt. In den USA sind die meisten Firmen sehr sensibel, wenn es um Diskriminierungen am Arbeitsplatz geht. Denn dort drohen noch empfindlichere Schadenersatzzahlungen als in Großbritannien. Über die Höhe des Schadenersatzes für Meseret Kumulchew wird das Gericht zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden.

Behindertenorganisationen begrüßten das Urteil. Es mache klar, dass Arbeitgeber verpflichtet seien, auf die Behinderung ihrer Mitarbeiter angemessen einzugehen und Vorkehrungen zu treffen, damit diese arbeiten könnten.

Ob das Urteil in Deutschland ähnlich ausgefallen wäre? Wohl eher nicht. „Angemessene Vorkehrungen“ kommen zwar in der UN-Behindertenrechtskonvention vor, aber noch nicht in deutschen Gesetzen, die sich mit Gleichstellung und Antidiskriminierung von Menschen mit Behinderungen befassen. Aber genau das würde Inklusion im Arbeitsleben bedeuten: den rechtlichen Anspruch darauf, dass ein Mensch seiner Arbeit trotz Behinderung nachgehen kann.