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Seid nicht dankbar – zumindest nicht wegen uns Rollstuhlfahrern

 

Es wurde unterdessen zehntausend-fach geteilt: Ein Video mit der Botschaft, man solle dankbar für das sein, was man hat.

Herhalten muss für diese Botschaft ein Rollstuhlfahrer, der nach einer langen Kette von Vergleichen einem Fußgänger gegenübergestellt wird und man lernt, der Fußgänger hat zwar kein Auto oder Fahrrad wie die anderen zuvor im Video, aber er kann laufen wohin er möchte. Der Rollstuhlfaher aber nicht.

Dieses Video ist auf so vielen Ebenen einfach nur falsch, um nicht zu sagen völlig daneben. Erst einmal die Bildsprache: Alle Menschen nehmen am Straßenverkehr teil. Nur der Rollstuhlfahrer nicht. Der schaut von außen auf das Straßentreiben und muss auf dem Balkon sitzen.

Das erinnert mich an die Geschichte, als eine Maklerin bei einer Wohnungsbesichtigung mal sagte, die Wohnung sei auch deshalb gut für mich geeignet, weil man da so gut aus dem Fenster sehen könne. Klar, was machen Rollstuhlfahrer sonst den ganzen Tag anderes, als aus dem Fenster schauen? Und genau diese Vorstellung bedient auch dieses Video.

Rollstuhlfahrer am Ende der Kette

Am meisten allerdings ärgert mich die Botschaft. Sie lautet, man solle dankbar dafür sein, was man hat, dargestellt in einer Kette von Vergleichen – vom Luxusauto über den Fußgänger bis zum Rollstuhlfahrer ganz am Ende der Kette, der (angeblich) nicht einmal am Straßenverkehr teilnehmen kann. Die Botschaft lautet: Egal wie schlecht es Dir geht, es könnte Dir noch schlechter gehen. Du könntest im Rollstuhl sitzen.

Oh bitte! Und diese Botschaft wurde zehntausend-fach auf Facebook geteilt und alle fühlen sich prima. Was für eine Anmaßung und Abwertung vom Leben als Rollstuhlfahrer. Die wenigsten Rollstuhlfahrer sitzen die ganze Zeit auf einem Balkon, ausgeschlossen vom normalen Leben. Sie fahren Auto – ja sogar Luxusautos fahren einige – und fahren auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn man sie denn lässt und diese barrierefrei ausbaut.

Zufriedenheit und Glück im Leben hängen nicht davon ab, ob man im Rollstuhl sitzt oder nicht, sondern davon, ob man Menschen um einen hat, die einen mögen, ob man mit sich selbst im Reinen ist und so viel von dem macht, was man eben machen kann, ob behindert oder nicht. Ich habe eine großen Freundeskreis und ich kenne viele Menschen – behinderte und nichtbehinderte Menschen – aber wie zufrieden diese Menschen sind, hängt nicht von ihrem körperlichen Zustand ab. Im Gegenteil, Menschen, die objektiv alles haben, sind manchmal gar nicht wirklich die glücklichsten Menschen.

Falsche Bilder

Für Videos wie dieses, die behinderte Menschen nutzen, um sich selbst zu erhöhen und Behinderung dazu nutzen, damit sich nichtbehinderte Menschen ein bisschen besser fühlen: Man nennt sie inspiration porn (Inspirationsporno) und viele behinderte Menschen hassen diese Videos genau aus diesem Grund: Sie zeichnen ein falsches Bild von Behinderung und dieses Bild schadet ihnen im Alltag. Weil man ihnen nichts zutraut, weil man das Leben mit Behinderung als weniger wert darstellt, weil es Mitleid fördert statt Gleichberechtigung. Es gibt einen tollen TED-Talk zu dem Thema von der leider bereits verstorbenen Journalistin Stella Young.

Stella Young beendete ihren Vortrag sinngemäß mit einem tollen Satz: „Behinderung macht Dich zu nichts Besonderem. Aber zu hinterfragen, was Du darüber denkst, schon.“ In diesem Sinne, jeder, der solche Videos teilt, sollte sich vorher fragen, welches falsche Bild über behinderte Menschen er da verbreitet. Aber dafür muss man manchmal das eigene Bild korrigieren, um das zu erkennen.