Wer in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz oder Sachsen-Anhalt wohnt und wahlberechtigt war, konnte am Sonntag wählen gehen – und kam hoffentlich auch in sein örtliches Wahllokal. Das ist leider nicht ganz selbstverständlich, denn auf Twitter und Facebook machten sich vor und während den Wahlen schon einige behinderte Menschen Luft, weil sie nicht in ihr örtliches Wahllokal kamen.
#Landtagswahl Rheinland-Pfalz: Meine Stimme habe ich per Briefwahl gestern abgegeben. Wahllokal war nämlich nicht barrierefrei!
— Michael J. Rittel (@DowJones1959) 21. Februar 2016
Rheinland-Pfalz vorn
Während in Rheinland-Pfalz immerhin mehr als 80 Prozent der Wahllokale barrierefrei waren, waren es ist Sachsen-Anhalt gerade mal die Hälfte. Gut 870 Wahllokale in Rheinland-Pfalz waren nach Angaben des Statistischen Landesamtes nicht barrierefrei, in 80 Prozent der Gebäude fehle ein entsprechender Zugang. Das statistische Landesamt von Baden-Württemberg konnte mir leider keine Zahlen über barrierefreie Wahllokale nennen.
Nun kann man argumentieren: Sollen behinderte Wähler eben Briefwahl machen, wenn sie nicht ins Wahllokal kommen. Aber eigentlich müsste jeder Bürger das Recht haben, im Wahllokal zu wählen und nicht auf die Zuverlässigkeit der Deutschen Post zu vertrauen.
Überraschend nicht barrierefrei
Und noch ein Argument spricht dagegen: Teilweise bemerken die Leute erst am Wahltag, dass ihr Wahllokal nicht barrierefrei ist. Zwar drucken jetzt die meisten Bundesländer immerhin einen Hinweis auf die Wahlbenachrichtigung, ob das nächstgelegene Wahllokal barrierefrei ist oder nicht, aber nicht alle Leute sehen das.
Am Wahltag auf Facebook begegneten mir jedenfalls mehrere Einträge , wo sich Menschen, die zum ersten Mal im Rollstuhl wählen gingen, bitterlich darüber beklagten, nicht in ihr Wahllokal zu kommen. Sie hatten schlicht gar nicht damit gerechnet, dass in Deutschland Wahlen in Gebäuden abgehalten werden, in die man nicht stufenlos hineinkommt. Ich kann diese Einstellung durchaus verstehen. Ich finde auch immer wieder verblüffend, dass zwar jeder Mist in Deutschland geregelt ist, aber es immer noch völlig in Ordnung zu sein scheint, dass 20 Stufen zur Wahlurne führen – und das bei einer immer älter werdenden Bevölkerung.
Abenteuer Wahlschein
Alternativ zur Briefwahl kann man im Falle eines nicht barrierefreien Wahllokals auch noch einen Wahlschein beantragen, der einem erlaubt, in einem anderen, hoffentlich barrierefreien Wahllokal zu wählen, auch wenn man nicht dort gemeldet ist. Das habe ich früher oft gemacht, aber es kann den Wahlhelfern den Schweiß auf die Stirn treiben. Vermutlich fällt es in den Wahlschulungen in das Kapitel „Das wird sicher nicht vorkommen, aber nur damit Sie es mal gehört haben“.
Und dann kommt es doch vor und jemand muss angerufen werden, weil man hat dann doch nicht so genau aufgepasst, was in so einem Fall zu tun ist. Dieses Theater war zwar immer ganz lustig, zog sich allerdings auch hin, so dass ich dann doch irgendwann auf Briefwahl umgestiegen bin.
Hausmeisterregeln versus Barrierefreiheit
In England hat bei der letzten Europawahl ein renitenter Hausmeister fast meine Stimmabgabe verhindert. Obwohl die Wahllokale bis spät abends geöffnet hatten, war der barrierefreie Seiteneingang ab 18 Uhr versperrt. Es war bereits dunkel als ich ankam und weil unsere Gegend hier schon fast ländlich ist, war auch weit und breit niemand auf der Straße, der mir helfen konnte. Ich klopfte mühsam ans Fenster, bis jemand kam. Der Hausmeister schloss mir den Seiteneingang auf und ich sagte ihm, dass er ihn bitte offen lassen muss, so lange in der Schule noch gewählt wird. Das wollte er nicht einsehen. Er mache den Seiteneingang immer um 18 Uhr zu. Nur weil in der Schule gewählt würde, würde er da jetzt keine Ausnahme machen.
Die örtliche Wahlkommission war von seiner Argumentation wenig angetan und leitete sogar ein Verfahren ein. Ich bekam ein offizielles Entschuldigungsschreiben meiner Gemeinde und die Zusicherung, dass so etwas nicht mehr vorkommen werde. Sie sollten Recht behalten. Bei den nächsten Wahlen konnte ich den Haupteingang der Schule benutzen. Man hatte den Eingangsbereich ebenerdig umgebaut.