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Ausgrenzung muss Folgen haben

 

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat heute eine Studie zum Thema Diskriminierung in Deutschland vorgelegt. Wenig überraschend erst einmal: Diskriminierung gibt es häufig, viele erleben sie. Nahezu jeder dritte Mensch in Deutschland (31,4 Prozent) hat in den vergangenen zwei Jahren eine Diskriminierung erfahren. Vergleichsweise häufig kommt Benachteiligung aufgrund des Alters (14,8 Prozent) vor, gefolgt von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (9,2 Prozent). Diskriminierung aufgrund von Behinderung haben 7,9 Prozent der Befragten erlebt. Wenn man bedenkt, dass 13 Prozent der Deutschen behindert sind, ist die Zahl relativ hoch.

Menschen wehren sich öfter

Die Befragung der Antidiskriminierungsstelle basiert auf zwei Säulen: In einer repräsentativen Umfrage des Bielefelder Forschungsinstituts SOKO Institut für Sozialforschung und Kommunikation wurden rund 1.000 Menschen ab 14 Jahren bundesweit telefonisch befragt. Diese Ergebnisse geben einen Überblick darüber, wie verbreitet Diskriminierung in Deutschland ist. In einer umfassenden schriftlichen Betroffenenbefragung konnten überdies alle in Deutschland lebenden Menschen ab 14 Jahren über selbst erlebte oder beobachtete Diskriminierungserfahrungen berichten. Mehr als 18.000 Personen haben sich beteiligt und knapp 17.000 selbst erlebte Situationen beschrieben.

„Diskriminierung ist alles andere als ein Nischenthema“, sagte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, bei der Vorstellung der Ergebnisse. „Jeder Mensch kann betroffen sein. Es ist also in unser aller Interesse, mit ganzem Einsatz gegen jede Form von Diskriminierung anzugehen.“ Immerhin, die Mehrheit der Menschen hat die Diskriminierung nicht einfach hingenommen, sondern sich gewehrt oder zumindest mit jemanden darüber gesprochen und sich beraten lassen. „Die Menschen sind nicht gewillt, Diskriminierung einfach zu erdulden“, sagte Lüders. Sie brauchten aber mehr und bessere Unterstützung: „Knapp zehn Jahre nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist es höchste Zeit für eine rechtliche Stärkung der Menschen, die Diskriminierung erleben. Auch sollten wir jetzt eine Fortentwicklung des gesetzlichen Diskriminierungsschutzes in den Blick nehmen.“

Klagerecht gefordert

Lüders regte deshalb ein eigenes Klagerecht für Diskriminierungsverbände sowie für die Antidiskriminierungsstelle an: „Es muss endlich möglich sein, Betroffene vor Gericht effektiv zu unterstützen – wie es in vielen anderen europäischen Ländern längst möglich ist.“

Zumindest im Bereich behinderter Menschen könnte die Bundesregierung sofort etwas ändern, indem sie nämlich das Behindertengleichstellungsgesetz auf die Privatwirtschaft ausweitet. Es genügt ja nicht, Studien zu veröffentlichen, wer alles diskriminiert wird, sondern Ziel muss doch sein, die Diskriminierung praktisch abzustellen oder zumindest den Menschen das Gefühl zu geben, dass das gesellschaftlich nicht toleriert wird.

Wenn ich in London an einen Busfahrer gerate, der sich weigert, mir die Rampe auszufahren, dann habe ich ein starkes Gesetz im Rücken, das sogar Schadenersatz vorsieht. Wenn mir das in Berlin, Hamburg oder München passiert, kann ich froh sein, wenn ich von den Verkehrsbetrieben ein angemessenes Entschuldigungsschreiben bekomme. Und dabei geht es nicht einmal ums Geld, sondern um das Bewusstsein in der Gesellschaft, das so etwas nicht mehr toleriert wird und dass der Staat derartige Ausgrenzung nicht mehr hinnimmt, was eben bedeutet, dass man etwas zahlen muss, wenn man diskriminiert.

Bittsteller

Stattdessen muss man in Deutschland als behinderter Mensch vielfach immer noch als Bittsteller auftreten. Man muss froh sein, wenn das örtliche Schwimmbad einen nicht gleich wieder rausschmeißt und wenn der Blindenführhund mit ins Restaurant darf.

Wenn man das in Deutschland nicht regeln will, könnte Deutschland wenigstens aufhören, eine entsprechende Gesetzesinitiative auf europäischer Ebene zu blockieren.

Die ganze Thematik Diskriminierung zeigt übrigens sehr schön, dass es keineswegs ums Geld geht, das angeblich fehlt, sondern um die richtige Einstellung. Nur ein Beispiel: Blindenführhunde in Restaurants zu lassen – und zwar so, dass sich die Restaurantbesitzer schadenersatzpflichtig machen oder ein Bußgeld zahlen müssen, wenn sie blinde Menschen deshalb rauswerfen – kostet den Staat keinen Cent. Aber es wäre extrem wichtig, um das Selbstbewusstsein blinder Menschen mit Blindenführhunden zu stärken und klar zu machen, dass so ein Verhalten heutzutage nicht mehr geht. Exklusion muss Folgen haben. Das ist zielführender als Inklusion immer nur zu fordern oder in Studien festzuhalten, wie viele Menschen von Ausgrenzung betroffen sind.