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Studienfahrt nach Brüssel – aber ohne Gebärdensprachdolmetscher

 

Während meiner Schulzeit haben mich an ein paar Erlebnisse nachhaltig geprägt. Die Studienfahrt in die damals noch neuen Bundesländer kurz nach der Wende zum Beispiel. Oder die Fahrt zum Katholikentag nach Dresden, wo ich mit Politikern diskutiert habe. Davon stand nichts im Lehrplan, es war auch nicht prüfungsrelevant und trotzdem war es enorm wichtig für meine politische Bildung als junger Mensch.

Deshalb finde ich es begrüßenswert, wenn Abgeordnete Schulklassen zu sich einladen, ihnen das jeweilige Parlament zeigen und mit ihnen diskutieren. Es gibt wohl kaum ein besseres Mittel gegen Politikverdrossenheit und für die Stärkung des Demokratieverständnisses, wenn junge Menschen live erleben, wie Parlamente arbeiten und wie unsere Demokratie funktioniert.

Politische Bildung nur für hörende Schüler

Gerade in Zeiten, in denen Bürger in einem EU-Land dafür stimmten, die EU zu verlassen, ist es  eine Investition in die Zukunft, wenn EU-Parlamentarier Schüler einladen. So wird die Klasse der Berliner Schülerin Clara Belz nach Brüssel fahren. Das Problem: Clara Belz ist gehörlos und die einzige gehörlose Abiturientin in ihrer Klasse – und für die Dolmetscherkosten für diese Reise will niemand aufkommen. Aber ohne die Dolmetscher versteht Clara nichts. Dürfen sich also nur hörende Schüler politisch weiterbilden?

Das zuständige Bezirksamt in Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg hat den Antrag der Schule auf Kostenübernahme abgelehnt, da die Studienfahrt nach Brüssel nicht notwendig sei, um den Schulabschluss zu schaffen. Das EU-Parlament würde sich immerhin mit 120 Euro an den Kosten beteiligen. Dafür bekommt man aber keinen Dolmetscher für eine ganze Studienfahrt.

Dolmetscher bedeuten Gleichberechtigung

„Ich habe zwei Dolmetscher im Unterricht, die für mich simultan übersetzen“, sagt Clara Belz. „Das ermöglicht mir, wie alle anderen am Unterricht teilzunehmen.“ Sie gehe gerne auf eine Regelschule, weil sie endlich das Gefühl habe, gleichberechtigt unterrichtet zu werden. Die Dolmetscher sind die Brücke zwischen ihr, den Lehrern und den Mitschülern. Und ausgerechnet diese Brücke will man ihr für die Studienfahrt nicht gewähren.

Europapolitik ist wichtig

„Die Reise ist wichtig für mich, da ich mich mit anderen im Kurs sehr intensiv mit Europapolitik auseinandersetze und ich durch die Reise mein Wissen mit anderen gleichberechtigt erweitern könnte“, sagt Clara Belz. „Europapolitik müsste eigentlich viel mehr Präsenz in allen Schulen erfahren, damit sich die Schüler dafür interessieren, was in Brüssel oder in Straßburg vor sich geht. Europa geht uns alle an.“

Das ist ein schönes Beispiel, wie Inklusion an Schulen nicht funktioniert. Wenn Inklusion nichts kosten darf, wird es keine gleichen Bildungschancen für behinderte und nichtbehinderte Schüler geben. Wir regen uns zu recht über Eltern auf, die aus kulturellen oder religiösen Gründen ihre Kinder nicht auf Klassenfahrten fahren lassen – weil Klassen- und Studienfahrten nun einmal nicht nur Spaß sind, sondern die Kinder Eindrücke fürs Leben sammeln, ihren Horizont erweitern, sich bilden. Aber es soll völlig in Ordnung sein, dass eine gehörlose Schülerin die Themen einer Studienfahrt nicht versteht, weil der Staat für die Assistenz die Kosten nicht tragen will?

Deutschland hat sich für Inklusion entschieden. Das, was das Bezirksamt entschieden hat, ist genau das Gegenteil davon.