Es gibt kein Vorurteil, dem ich in Großbritannien als Deutsche häufiger begegnet bin, als die Annahme, wir Deutschen hätten keinen Humor. Ich habe das immer empört zurückgewiesen, aber manchmal erwische ich mich selbst dabei, dass ich mich wundere, wie mit dem Thema Humor in Deutschland so umgegangen wird.
Nun haben Fernsehmoderator und Autor Micky Beisenherz und Stand-up-Comedian Oliver Polak sich dem Thema „Humor und Randgruppen“ angenommen. In dem Zweiteiler Das Lachen der Anderen besuchen sie zuerst eine Öko-Gemeinschaft und dann verschiedene Menschen, die Multiple Sklerose (MS) haben. Am Ende der beiden Filme macht Oliver Polak ein Stand-up-Comedy-Programm über die Menschen, die sie zuvor besucht und befragt hatten. Die Folge über das Öko-Dorf wurde bereits gesendet. Die Folge über die Menschen mit MS ist am Montag um 22.45 Uhr im WDR zu sehen. Ich konnte mir die Folge vorab bereits ansehen.
Das Tabu, das keines ist
„Der Kern der Sendung ist es doch eben zu zeigen, dass man über alles Witze machen kann und dass es niemanden gibt, der entscheidet, über was man Witze machen darf oder eben nicht“, verkündet Oliver Polak zu Beginn der Folge über MS. Es schwingt die Annahme im Raum, dass man über Menschen mit Behinderungen keine Witze machen dürfe. „Hallo, wir sind schon viel viel weiter, selbst im angeblich humorbehinderten Deutschland“, möchte ich den beiden zurufen. Schon mal die Cartoons von Phil Hubbe gesehen zum Beispiel?
Das angebliche Tabu, das sie in den 45 Minuten versuchen zu brechen, gibt es meines Erachtens so gar nicht. Die Regel lautet doch viel mehr, dass man andere Menschen nicht erniedrigt und bösartig verspottet, ganz gleich ob sie behindert sind oder nicht. Aber dass die beiden das nicht vorhaben, ist von der ersten Minute an klar, denn ihr Ziel ist es, dass am Ende auch die befragten Menschen über das Stand-up-Programm lachen können.
Und so wirkt das Programm dann eher wie eine nette Reportage zweier hemdsärmliger Typen über das Thema MS. Nett anzusehen, aber bei Weitem keine Fernsehrevolution zum Thema Behinderung. Der Höhepunkt ist dann am Ende der Stand-up-Auftritt mit ein paar netten Pointen.
Am meisten gelacht habe ich allerdings gar nicht über die Stand-up-Witze. Die beste Szene im Film war für mich als Micky Beisenherz beim Rollstuhltraining unfreiwillig komisch rückwärts auf die Straße knallte, weil er die Kippfähigkeit des Rollstuhls unterschätzt hat. Ein Klassiker für jeden, der schon mal länger als zehn Minuten in einem eher kippfreudig eingestellten Rollstuhl verbracht hat, ohne zu wissen, wie man damit umgeht. Anschließend versucht Oliver Polak im Rollstuhl einen kleinen Spalt zu überfahren und scheitert kläglich. Am besten sind die beiden in dem Film, wenn sie sich selbst auf den Arm nehmen und sich völlig ungelenk als Rollstuhlfahrer bewegen. Da sind sie authentisch und nicht so im künstlichen „Wir-besuchen-jetzt-mal-eine-Randgruppe-und-machen-Witze-über-sie“-Modus.
Authentischer Humor
Und vermutlich liegt darin auch der Schlüssel, warum ich britische Comedy-Programme zum Thema Behinderung bei Weitem lustiger finde als das, was der jetzt WDR produziert hat: Sie sind wirklich authentisch. Dort sind es nämlich vielfach behinderte Menschen selbst, die die Programme füllen. Sie machen die besseren Witze, weil sie sich offensichtlich mehr trauen, auf authentische Erfahrungen mit dem Thema Behinderung zurückgreifen können und ein gutes Gefühl dafür haben, wie weit man gehen kann und wo Erniedrigung oder das Schüren von gesellschaftlichen Vorurteilen anfängt.
Ich liebe zum Beispiel die Sendung The Last Leg, die seit den Paralympics 2012 am Freitagabend zur Primetime läuft. Zwei der drei Moderatoren sind behindert, was nicht im Mittelpunkt steht, aber immer wieder eine gute Basis für Witze bietet. Ich bin auch ein großer Fan der Abnormally funny people. Das ist eine Gruppe behinderter Comedians, die ein unsagbar gutes Bühnenprogramm haben und es wirklich schaffen, mit dem Thema Behinderung Comedy-Theater im ganzen Land zu füllen. Ebenfalls großartig ist Francesca Martinez, eine bekannte Comedian, die eine zerebrale Lähmung hat.
Und noch etwas: Ich glaube, es entscheidet sehr wohl jemand, über was man Witze machen kann und über was nicht. Es ist am Ende das Publikum. Als der britische Comedian Frankie Boyle dem mehrfachbehinderten, damals achtjährigen Sohn des britischen Models Katie Price unterstellte, er würde gegenüber seiner Mutter sexuell übergriffig, reichten Hunderte von Zuschauern Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde des Fernsehsenders ein, der das Comedy-Programm ausgestrahlt hatte. Kritisiert wurde, dass der Comedian die Behinderung des Jungen nutze, um ihn zu erniedrigen und ihn als sexuell gestört darzustellen. Zudem handele es sich um ein Kind, das sich weder wehren noch etwas für den Bekanntheitsgrad seiner Eltern könne. Die Aufsichtsbehörde gab den empörten Zuschauern damals recht.