In Großbritannien wird gerade darüber diskutiert, ob das Wort „disabled“ (behindert) noch zeitgemäß ist. Der behinderte Comedian Adam Hill hatte in einem Guardian-Interview sogar mal das Wort Mutant ins Spiel gebracht. Bislang wurde also noch keine gute Alternative gefunden. Wer sich wundert, ob es nicht „handicapped„ heißt im Englischen: Nein, heißt es nicht (jedenfalls nicht, wenn man nicht furchtbar verstaubt wirken möchte) und ist in etwa so modern wie das Wort „invalide“ oder „versehrt“ im Deutschen.
Handicap ist uncool
Es ist mir ein Rätsel, warum „Handicap“ im Deutschen als cooles Wort gilt. Ich habe selten Briten erlebt, die einen korrigieren, wenn man grammatikalische oder sprachliche Fehler macht, bis ich mitbekam, wie ein Schweizer „handicapped„ für „behindert“ nutzte. Er bekam sofort freundlich aber bestimmt erklärt, warum das kein angemessenes Wort ist.
Bislang war also „disabled„ im Englischen das korrekte Wort. Der Moderator und Comedian Adam Hill, der eine Beinprothese trägt, hatte schon 2012 vorgeschlagen, das Wort „mutant“ zu etablieren. Das ist natürlich nicht ganz ernst gemeint, aber durchaus originell.
Behindert werden
Ich persönlich mag sowohl das Wort „behindert“ als auch „disabled„. Ich kann mit beiden Wörtern gut leben, auch wenn ich über mich selber im Alltag meistens sage „Ich bin Rollstuhlfahrerin“, wenn ich zum Beispiel erklären möchte, warum ich nach der Anzahl der Stufen frage. Das empfinde ich als wertfreie und neutrale Bezeichnung meiner Person. Der Rollstuhl ist ein Fortbewegungsmittel, nicht mehr und nicht weniger.
Es ist aber in der Tat so, dass ich im Alltag oft behindert werde. Werde – nicht bin. Deshalb stört mich das Wort „behindert“ auch nicht. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich das Problem bin, sondern die Treppe oder was auch immer gerade die Barriere ist und das beschreibt das Wort ganz gut.
Soziales Modell von Behinderung
Ich habe die Barriere da nicht hingebaut, aber sie hindert mich daran, etwas zu tun: ins Gebäude zu gelangen und an einer Veranstaltung teilzunehmen beispielsweise. Sie behindert mich. Ich weiß, dass das nicht die verbreitete Definition ist. In Großbritannien ist das soziale Modell von Behinderung viel etablierter als in Kontinentaleuropa. Das ist übrigens auch der Grund, warum die Briten, wenn sie politisch korrekt sein wollen, „disabled people„ (behinderte Menschen) sagen und nicht „people with disabilities„ (Menschen mit Behinderungen) wie die Amerikaner. „Disabled people„ geht davon aus, dass man behindert wird und keine Behinderung hat. Deshalb unterscheiden sie auch zwischen der gesellschaftlichen Behinderung (disability) wie beispielsweise Treppen und der medizinischen Diagnose. Diese nennen sie „impairment„. Also Querschnittlähmung ist meine Beeinträchtigung (impairment) und die Treppe die Behinderung.
Ganz lustig finde ich ja so Begriffe wie „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“. Sorry, aber wie besonders ist das Bedürfnis wirklich, einfach stufenlos zu einer Veranstaltung zu gelangen? Im Jahr 2015? Wir sind ja nicht mehr im Mittelalter, es gibt Rampen und Fahrstühle, man muss sie halt bauen. Gerade im Schulbereich liest man das oft, damit wäre es wirklich an der Zeit zu erkennen, dass die meisten Schüler Bedürfnisse haben, eben unterschiedliche nicht besondere. Ein sehr musikalisches Kind hat sicher das Bedürfnis, dieser Begabung nachzugehen und entsprechend gefördert zu werden. Aber wohl kaum jemand sagt, dass das Kind ein „besonderes Bedürfnis“ oder einen „besonderen Förderbedarf“ habe. Diese Formulierung ist so gut wie immer für behinderte Schüler reserviert.
Sprachliche Herausforderungen
Sehr erheiternd finde ich auch den Begriff „körperlich herausgefordert“. Das kommt aus dem Amerikanischen und leitet sich von „physically challenged“ ab. Nicht jeder behinderte Mensch startet bei den Paralympics, wo man körperlich herausgefordert wird, aber das ist wohl auch nicht gemeint. Man möchte damit ausdrücken, dass es beispielsweise eine körperliche Herausforderung sei, nicht laufen zu können. Aber wer genau hat mich herausgefordert? Und mit welchem Grund? Und wenn ich die Herausforderung annehme, verschwindet die Treppe dann? Wohl kaum.
Ich nehme es niemandem krumm, wenn er oder sie merkwürdige Begriffe benutzt, um über die Tatsache zu sprechen, dass ich Rollstuhlfahrerin bin. Aber ich erlaube mir schon manchmal, darüber zu kichern oder eine lustige Bemerkung zu machen. Nicht weil ich die Menschen verunsichern möchte, aber es schadet manchmal nicht, darüber nachzudenken, wie man sich ausdrückt. Damit reflektiert man häufig nicht nur die Sprache, sondern auch die eigene Einstellung.