Es liest sich wie von einem Wunschzettel für eine gute Fee, aber es gibt sie tatsächlich: eine Gesetzesinitiative, um die Europäische Union barrierefreier zu machen. Die EU könnte noch dieses Jahr das Gesetz auf den Weg bringen, das das Leben von rund 80 Millionen behinderten Menschen in der EU zu verbessern verspricht – den European Accessibility Act, eine Gesetzesnorm zur Schaffung von Barrierefreiheit.
Große Unterschiede
Wer schon einmal mit einen Blick für Hindernisse für behinderte Menschen durch Europa gereist ist, weiß, die Zugänglichkeit und das Bewusstsein für Barrierefreiheit ist in den verschiedenen europäischen Ländern sehr unterschiedlich ausgeprägt. Selbst innerhalb Deutschlands gibt es zwischen den einzelnen Bundesländern massive Unterschiede. Bauordnungen beispielsweise, und damit die architektonische Barrierefreiheit, sind Ländersache.
Aber auch der Zugang zu Serviceleistungen für behinderte Menschen ist in der EU sehr unterschiedlich geregelt. Während viele Geldautomaten in Österreich bereits mit einem Kopfhöreranschluss und Sprachausgabe ausgestattet sind, damit diese auch von blinden Menschen eigenständig bedient werden können, ist das in Deutschland immer noch die Ausnahme. Der European Accessibility Act könnte den Zugang zu solchen Dienstleistungen, aber auch die bauliche Barrierefreiheit innerhalb der EU massiv verbessern. Allerdings ist immer noch nicht klar, welche Bereiche mit dem Gesetz abgedeckt werden.
Bei einem Treffen mit Vertretern des europäischen Behindertenforums (EDF) sagte die EU-Kommissarin und belgische EU-Abgeordnete Marianne Thyssen, dass das lang erwartete Gesetz fertig sei und schon am 2. Dezember 2015 im Kollegium der Kommissare diskutiert und sogar beschlossen werden könnte.
Sollte es dazu kommen, könnte der Entwurf des European Accessibility Act am 3. Dezember 2015, dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen, veröffentlicht werden, so das EDF. Der Vorschlag wird dann zur Prüfung und zur Annahme an das Europäische Parlament und den Rat übermittelt. Das Gesetz soll den Zugang zu Waren und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen innerhalb der EU sicherstellen. Seit 2012 warteten die Betroffenen bislang vergeblich auf die Vorlage dieses Gesetzesentwurfs.
Nicht zu viel erwarten
Vermutlich darf man die Hoffnungen in das neue Gesetz allerdings nicht allzu hoch setzen. Ein Antidiskriminierungesetz für Menschen mit Behinderungen nach amerikanischem oder britischem Vorbild wird es wohl leider nicht werden, aber das Gesetz könnte Mindeststandards in der EU schaffen, die einzuhalten sind.
Dass Neubauten barrierefrei errichtet werden sollten, hat sich längst noch nicht überall in der EU etabliert. Dass man Geschäften und Restaurants durchaus zumuten kann, kleinere Änderungen an ihren Geschäftsräumen vorzunehmen, um Menschen mit Behinderungen einen barrierefreien Zugang zu ermöglichen, haben indes einige europäische Länder vorgemacht. Womöglich werden solche Vorschriften jetzt zum Standard in Europa.
Was das Gesetz aber in jedem Fall bewirken könnte: Dass europaweit ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, dass Barrierefreiheit und die Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben keine Randthemen sind, sondern durchaus Themen, die es wert sind, dass man sich europaweit damit befasst.