Die BBC hat am Montag einen Film über die Barrieren gezeigt, auf die behinderte Menschen in ihrem Alltag stoßen. Ich habe an diesem Film maßgeblich mitgewirkt und fast zwei Wochen lang meinen Alltag gefilmt.
Ich hatte 2013 schon mal mit versteckter Kamera für die BBC gedreht, allerdings nur einen Tag lang. Dabei ging es vor allem um die Barrierefreiheit von öffentlichen Verkehrsmitteln und darum, wie nachhaltig sich die Paralympics in der Stadt bemerkbar machen (oder eben auch nicht). Entstanden ist dieser Film.
Diesmal war alles es etwas anders. Die Kamera war noch kleiner als die, die ich 2013 hatte. Sie war so groß wie ein kleiner Knopf und an einer Tasche befestigt. Man sagte mir gleich am Anfang, sie sei sehr teuer, aber nicht versichert. So war ich in den ersten Tagen völlig nervös, weil ich ständig Angst hatte, die Kamera zu verlieren. Die war zwar gut festgemacht, aber mit einem Wert von 25.000 Euro an der Tasche wird man einfach nervös. Nur nicht im Café die Tasche klauen lassen, nicht am „Knopf“ hängenbleiben, ist die Kamera jetzt an oder aus? Ein entspanntes Leben habe ich diese zwei Wochen lang nicht gehabt.
Gestrandet auf der Dachterrasse
Es war zudem wie verhext: Wann immer ich die Kamera eingeschaltet hatte, lief irgendwas völlig daneben. Noch nie stand ich binnen zwei Wochen vor so vielen defekten Fahrstühlen. Einmal blieb ich um 23 Uhr auf einer Dachterrasse über den Dächern Londons hängen, weil der Lift, mit dem ich hinaufgekommen war, einfach nicht mehr hinunterfahren wollte. Aber das Konzerthaus, auf dessen Dach ich mich befand, um den Geburtstag einer Freundin zu feiern, hatte Gott sei Dank einen Notfalldienst, der auch irgendwann kam und den Fahrstuhl wieder in Gang setzte.
Ich war nicht die einzige, die von der BBC mit einer Kamera ausgestattet wurde. Ein blinder Mann mit einem Blindenführhund bekam ebenfalls eine Kamera, um vor allem das Verhalten von Taxifahrern zu testen. Von 20 Fahrern verweigerten ihm fünf die Mitfahrt, weil sie den Hund nicht mitnehmen wollten. Das ist in Großbritannien illegal.
Bankgeschäfte auf der Straße
Sinn des Filmes ist, die ganz „normalen“ Barrieren zu zeigen, auf die Rollstuhlfahrer und blinde Menschen immer noch stoßen und die es eigentlich längst nicht mehr geben sollte: zum Beispiel Coffeeshops mit Stufen vor der Tür oder, wenn sie keine Stufen haben, mit Stehtischen, an denen ein Rollstuhlfahrer nicht sitzen kann; eine Postfiliale mit Stufe, aber ohne Rampe, deren Filialleiter freundlich anbietet, die Bankgeschäfte doch gleich auf der Straße abzuwickeln; eine Drogerie, die einen Fahrstuhl zur Apotheke hat, mir aber sagt, ich könne den Lift nicht nutzen, weil sie ihn nicht gewartet hätten; Mitarbeiter von Zugunternehmen, die „vergessen“, einen aus dem Zug zu holen, obwohl man sich vorher angemeldet hat. Man hätte einen zwei Stunden langen Film aus den Vorfällen machen können.
Alle oben erwähnten Beispiele sind in Großbritannien übrigens rechtswidrig. Seit 1995 müssen alle Einrichtungen, Geschäfte, Banken und so weiter „angemessene Vorkehrungen“ treffen, um behinderten Menschen einen gleichwertigen Service wie nicht behinderten Menschen anzubieten. Dazu gehören zum Beispiel portable Rampen, die ein oder zwei Stufen überbrücken helfen. Treffen die Einrichtungen und Geschäfte diese Vorkehrungen nicht, machen sie sich schadensersatzpflichtig. Zwar sind die Summen, die für Diskriminierung gezahlt werden, im Königreich noch nicht ganz so hoch wie in den USA, aber dennoch sorgen sie dafür, dass ziemlich viel getan wird.
Fairerweise muss man sagen, dass sich viele Unternehmen daran halten und genau diese Vorkehrungen getroffen haben. Oft ist das keine Frage des Geldes – eine portable Rampe kostet etwa 100 Euro – sondern des Willens. Auch die erwähnte Drogeriekette kann sich die Wartung ihrer Lifts sicher leisten. Aber man muss es eben machen. Und was für einen kleinen Laden an der Ecke zu teuer ist, ist dann auch nicht mehr „angemessen“ im Sinne des Gesetzes.
Die schlimmste Situation während des Filmens für mich war, als ich von einem Typen in einer U-Bahnstation belästigt wurde, der vorgab, mir doch nur helfen zu wollen, um mich später mit Gegenständen zu bewerfen. Bis zum Schluss wurde diskutiert, ob diese Szene im Film bleiben sollte. Erst mit Ausstrahlung sah ich, dass sie nicht gezeigt wurde. Eigentlich handelt der Film ja auch von Barrieren und nicht von kriminellen Übergriffen.
Gewöhnungssache
Interessant für mich war, das Material hinterher anzuschauen, denn ich habe viele Situationen teilweise gar nicht so krass wahrgenommen, wie sie aber de facto waren. Das wurde mir erst klar, als ich die Aufzeichnungen sah. Etwa respektlose Restaurantmanager und Angestellte, die mir sagen, ich solle doch draußen essen, da gebe es niedrige Tische. Doof dabei war nur, dass es in Strömen regnete.
In der Situation selber fielen mir die teilweise unverschämten Reaktionen gar nicht mehr auf. Ich war nur noch auf Problemlösung aus, was im Alltag wohl auch wirklich besser ist, als sich auch noch über das Benehmen aufzuregen. Aber an der Reaktion des BBC-Teams, wenn ich neues Material überspielte, merkte ich schon, was ich als normalen Alltag empfand, war für nicht behinderte Zuschauer, die diese Situationen nicht so kennen, total schockierend. Ich bin das einfach gewöhnt.
Ich war am Ende froh, die Kamera wieder zurückgeben zu können. Dennoch finde ich es wichtig, dass es solche und ähnliche Fernsehprojekte gibt. Was geändert werden muss, um behinderten Menschen die Teilhabe am normalen Leben zu ermöglichen, wird vielen erst bewusst, wenn sie die Probleme mal gesehen haben – und sei es im Fernsehen. Das ist viel effektiver, als irgendwelche Promis in Rollstühle zu setzen.