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Das Leben, was sonst!

 
In asturischer Sprache singt die spanische Band MUS ergreifende Melodien. Als ließe sie die Zeit einfach los.

MUS La Vida

Eine Fliege krabbelt an der Fensterscheibe. Es sieht aus, als verfolge sie ein Ziel, doch sie erreicht es nie. Irgendwann kommt für den Betrachter der Moment der Entscheidung: Macht einen ihre scheinbar sinnlose Suche nervös – oder gerät man in einen Zustand euphorischer Gelassenheit, als dehnten sich Augenblicke ins Endlose?

Ähnliches geschieht bei der Beobachtung eines Wasservogels am sommerlichen Badesee. Der Haubentaucher verschwindet unter der Wasseroberfläche, und während man nicht weiß, wann und wo er wieder auftaucht, zerrinnt die Zeit. Glücklich, wer sie einfach loslässt!

Dieses Glück des Loslassens vermitteln die zwölf Lieder der hierzulande vollkommen unbekannten Band MUS aus Spanien. Auf kleinen internationalen Labels haben sie bereits acht Platten herausgebracht, ihr neuntes Album heißt La Vida. Das Leben, was sonst! Direkt und schlicht sind die Lieder instrumentiert. Akustische Gitarren, Flöte, Geige, Schlagzeug sind im Stil klassischer Folkballaden arrangiert, auch mal mit mehr Orchestereinsatz oder im vollen Klang einer Rockband.

Und dann diese samtene Stimme der Sängerin Monica Vacas. Sie singt, als sänge sie nicht für uns, sondern für die Fliege an der Scheibe, den Haubentaucher am See. Sie singt in einer sehr alten romanischen Sprache, die nur noch in einigen Winkeln der Region Asturien im Norden Spaniens gesprochen wird.

Völlig falsch liegt, wer da Klischees von Latinofeuer im Kopf hat. Monica Vacas schwebt durch die melancholischen Melodien, sie betont und dehnt die Vokale wie ihre britischen Indiepop-Kolleginnen. Es klingt, als sängen die Mädels von Belle & Sebastian und Stereolab plötzlich mit fremden Zungen – zauberhaft!

Wie ein sanfter Wellengang liegen die Akkorde und getupften Töne des Komponisten Fran Gayo unter ihrer Stimme. Das ein oder andere Volks- oder Kinderliedmotiv mag Pate gestanden haben, im Refrain „Ay, ay, ay“ des Liedes Animas Del Purgatoriu, im ersten Stück der Platte, Per Tierres Baxes.

Monica Vacas und Fran Gayo sind das Herz von MUS. Auf der Website der Platenfirma sieht man ein Foto von ihnen, das erinnert an Juliette Greco und Georges Moustaki in jungen Jahren oder an das Paar Abi & Esther Ofarim. Das passt zu dem kleinen Label Green Ufos, denn hier passt nichts zueinander. Die neue Platte der Glam-Folk-Hop-Schwestern CocoRosie ist in ihrem Programm, ebenso die Achtziger-Jahre-Revue der Elektronikveteranen Piano Magic; neben herrlich abstrusem Fantasy-Computerkitsch von Southern Arts Society hat Tom Verlaine ein Zuhause für sein Alterswerk gefunden.

Und MUS, sie haben mit La Vida Marcel Prousts verlorene Zeit wiedergefunden.

„La Vida“ von MUS ist bei Green Ufos/Hausmusik erschienen.

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