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Das milde Lächeln Miesepeters

 
Im Greyhound-Bus fuhr Raymond Raposa durch Amerika und nahm seine Lieder auf. Als Castanets hat er sie nun in ein Album gefügt, das wie ein zerkratzter Monolith in karger Landschaft steht.

Castanets In The Vines

Vermutlich täuscht der erste Eindruck. Bestimmt ist der rauschebärtige Finsterling Raymond Raposa ein echter Witzbold. Ein lustiger Geselle, der seine dunkle Seite in einem feuchten Kellerstudio auslebt und dort Platten aufnimmt. Castanets nennt er sich dann, In The Vines heißt sein neuestes Werk.

Raposa brach im Alter von 15 Jahren die Schule ab, tauschte sein Surfbrett gegen die akustische Gitarre und verließ seine kalifornische Heimatstadt San Diego. In Greyhound-Bussen fuhr er vier Jahre lang kreuz und quer durch die USA. Während dieser Zeit entstand sein musikalisches Alter Ego Castanets, unterwegs nahm er mit sparsamen technischen Mitteln Lieder auf und brannte sie auf CD.

Schließlich wurde Sufjan Stevens auf Castanets aufmerksam. Im Jahr 2004 veröffentlichte er Raposas Debüt Cathedral auf seinem Label Asthmatic Kitty, später dann das zweite Album First Light’s Freeze. Um Asthmatic Kitty tummeln sich auch andere seltsame Gestalten, wie die Neo-Progressiv-Rocker The Curtains und die spröde Sängerin Liz Janes. Man hilft sich gegenseitig aus; wenn Raymond Raposa ein Album aufnimmt oder auf Tour geht, ist auch Liz Janes oft dabei. Auf der aktuellen Single Strong Animal ist sie neben Sufjan Stevens im Chor zu hören. So gut können Synergien klingen.

Raposa verbindet ganz unterschiedliche Stilelemente. Der Delta-Blues Charley Pattons hat ihn beeinflusst, sagt er. Ebenso die beklemmenden Aufnahmen des im Jahr 2000 verstorbenen Hip-Hoppers DJ Screw.

Beklemmend klingt auch In The Vines an manchen Stellen. Wie ein zerkratzter Monolith steht es in karger Landschaft. Das eröffnende Rain Will Come verheißt nichts Gutes. Raposas Stimme hallt, als stünde er in einem riesigen Saal, knarzig singt er davon, dass wir das Ende dieses Stücks schon kennen. Fiepsende Störgeräusche und Rückkopplungen setzen ein und drehen seiner akustischen Gitarre den Hals um. Ohne Unterbrechung schließt This Is The Early Game an. Und plötzlich nimmt man erleichtert zur Kenntnis, dass der Miesepeter wohl ein mildes Lächeln im Gesicht trägt, während die Slide-Gitarre sanft wimmert.

Von solchen Kontrasten leben Raposas Alben. Die düster dräuenden Wolken werden hin und wieder von schüchternen Sonnenstrahlen durchbrochen. Sodass es am Ende doch scheint, als sei die Welt eigentlich gut.

„In The Vines“ von Castanets ist als LP und CD bei Asthmatic Kitty/Cargo erschienen.

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