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So klingt der Wahnsinn

Alle paar Sekunden eine neue Idee, ein Tempowechsel: Of Montreals neues Album „Skeletal Lamping“ ist ein Fiebertraum der unterhaltsamen Sorte

Kevin Barnes hat eine blühende Phantasie. Er ist der Sänger und kreative Kopf der Band Of Montreal – wie sein Wahnsinn klingt, ist auf deren neuem Album Skeletal Lamping zu hören.

Das geht so: Alle paar Sekunden eine neue Idee, alle paar Sekunden ein Tempowechsel. Zu Beginn des ersten Stücks Nonpareil Of Favor überschlägt sich ein Spinett, kaum hat man bis fünf gezählt setzt ein trockenes Schlagzeug ein Kevin Barnes singt, als gelte es, den überkandidelten Pop der Sparks zu imitieren. Etliche Ausfallschritte später versinkt alles im Gitarrengewitter. Es sind kaum sechs Minuten vergangen, da hat man den Eindruck, schon mindestens vier verschiedene Lieder gehört zu haben.

Und so geht es weiter. Da trifft Funk auf Yellow Submarine und Gitarrengeschrammel auf Saturday Night Fever. So klänge wohl Vaudeville-Theater im Spielparadies eines Möbelmarktes am verkaufsoffenen Sonntag. Oder die Musical-Version von Alice im Wunderland. Die sechs Musiker aus – von wegen Montreal – Athens, Georgia zelebrieren eine knappe Stunde lang hysterisch den Wahnwitz – und sehen dabei aus, als parodierten sie den Glamrock der Siebziger. Das ist wohl Ironie.

Ironie lässt sich in den Texten und Titeln der Band schon immer reichlich finden. Eines ihrer früheren Lieder hieß – in Anlehnung an Velvet Undergrounds Venus In FursVegan In Furs. In einem anderen erzählt Kevin Barnes davon, was er mit dem besten Freund anstellen würde, wäre er doch bloß ein Mädchen. Auf Skeletal Lamping indes dreht sich fast alles um Sex – und das recht explizit. Ein Fiebertraum der unterhaltsamen Sorte.

Kevin Barnes will irritieren. Auf seiner Internetseite ist zu lesen, er habe ein unvorhersehbares und schwieriges Album machen wollen. Er habe die übliche Wahrnehmung eines Popalbums demontieren wollen. Dabei ist Skeletal Lamping doch reinster Pop. Man kann es wie eine einzige lange Komposition hören. Oder wie eine Kollektion von 15 Popliedern. Oder wie die Aneinanderreihung tausender Klangfragmente.

Bleibt der Albumtitel: Lamping ist eine besonders brutale Art des nächtlichen Jagens. Dabei wird ein Jagdgebiet mit Licht geflutet und die in Panik versetzten Tiere niedergeschossen oder eingefangen. Er habe bei der Wahl des Titels an seine inneren Dämonen gedacht, sagt Kevin Barnes. Er wisse bloß noch nicht, ob er sie niederschießen oder einfangen solle.

„Skeletal Lamping“ von Of Montreal ist auf CD und LP bei Polyvinyl/Cargo Records erschienen.

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Im Walzertakt durchs Mondgedöns

Die in London lebende Iranerin Leila Arab schert sich nicht um Moden. Ihr Album „Blood, Looms And Blooms“ ist ein surrealer Ritt durch den Märchenwald.

Leila

Es zischt und kracht in Leila Arabs Laboratorium. In Reagenzgläsern sind die Zutaten ihres musikalischen Gebräus, stehen in einem alten Holzkasten an der Wand und sind miteinander verkabelt. Wie eine Klang-Alchemistin geht sie zu Werke, detailverliebt mischt sie eine Prise von diesem und jenem hinein.

Im Jahr 1998 hängte sie ihre Beschäftigung als Keyboarderin bei Björk und Galliano an den Nagel. Fortan nahm sie als Leila eigene Platten auf. Die große Zeit des TripHop war schon ein Weilchen vorbei, Disco-House dominierte die Tanzböden. Doch Leila scherte sich nicht um Moden: Sie veröffentlichte ein Album voller sperriger Miniaturen, die psychedelische Musik auf Like Weather konnte man durchaus TripHop nennen.

Nach ihrem zweiten Album Courtesy Of Choice war Funkstille. Die Trauer um ihre kurz nacheinander verstorbenen Eltern lähmte Leilas Kreativiät sieben Jahre lang. Ab und an arbeitete sie noch als Mischerin für Björk und als DJane, doch erst im vergangenen Jahr konnte sie wieder Musik aufnehmen. Ihr drittes Album Blood, Looms And Blooms erscheint nun.

Auf der Hülle inszeniert sich Leila als entschlossenes, kleines Mädchen und geht mit dem Bonanza-Fahrrad auf Mondfahrt. Durch einen verwunschenen Märchenwald saust sie, dort wuchern Elektronenröhren und anderes Gedöns. So surreal geht es auch musikalisch zu.

In dem Stück Little Acorns klingt das nach verspieltem Dancehall-Pop mit Kinderstimmen. Oder, höre Carplos, nach Filmmusik der frühen Achtziger, nach den bedrückenden Kompositionen John Carpenters. Seaming, eine Sängerin aus Manchester, hüpft in The Exotics durch die Oktaven, als gelte es Yma Sumac die Referenz zu erweisen, der großen Dame der Exotica.

Leila selbst singt nicht, sie lässt singen. Neben dem ehemaligen Sänger der Ska-Band The Specials Terry Hall tritt Martina Topley-Bird ans Mikrofon. Und auch Leilas Schwester kommt zu Wort: Roya Arab singt Daisies, Cats And Spacemen zu einer Habanera.

Da sind Walzer, südamerikanisch anmutende Klavierstücke, Synthesizer singen wie Delfine. Blood, Looms And Blooms klingt trotz seiner erstaunlichen Ideenvielfalt nicht überfrachtet. Gibt es etwas Schöneres als Musik, die überrascht? Zugänglicher ist Leilas Musik geworden, Tanzhits sucht man noch immer vergebens. Und über die fade Interpretation des Klassikers Norwegian Wood kann man milde hinwegsehen.

Der Vorwurf, dies klinge alles ein wenig überholt und biete musikalisch nicht viel Neues, wird an der selbstbewussten Komponistin abprallen. In ihrer Wundertüte sitzt der Entdeckergeist – und das kleine Mädchen auf seinem altmodischen Fahrrad winkt uns vom Mond zu.

„Blood, Looms And Blooms“ von Leila ist als CD und Doppel-LP bei Warp/Rough Trade erschienen.

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Explosion mit Botschaft

Mit 17 Jahren gründete Mark Stewart die Pop Group, sie prägte den Post-Punk der frühen Achtziger. Sein neues Solowerk „Edit“ ist so kraftvoll und brachial wie die früheren Alben, bisweilen aber klingt es etwas unfertig.

Mark Stewart Edit

Malcolm McLaren hatte einen einfachen Plan im Jahr 1976 in London: Finde ein paar seltsame Typen, die ein Instrument halten können, und stecke sie in zerschlissene Klamotten. Erkläre ihnen, dass sie eine Band sind, provoziere ein paar kleine Skandale, ziehe einen riesigen Plattenvertrag an Land. Provoziere ein paar große Skandale und kassiere am Ende ab. So simpel, so aufsehenerregend und gewinnträchtig. Hauptdarsteller in McLarrens Schmierenkomödie waren die Sex Pistols, sie spielten den Punk. Ihre Botschaft? Nun ja, es gab eigentlich keine.

Einen ähnlich einfachen Plan verfolgten wenig später ein paar junge Männer in Bristol: Sie gründeten eine Band, eine Popgruppe, die sie schlicht Pop Group nannten. Sie bekamen einen Plattenvertrag, gelangten auf das Titelbild des NME und ins Fernsehen. McLaren hatte verrückten Typen die Tür geöffnet. Aber es gab zwei wesentliche Unterschied zu den Sex Pistols: Die Musiker der Pop Group traten schicker auf, und sie waren Intellektuelle. Sie hatten eine Botschaft.

Mark Stewart, der Kopf und Sänger der Band, war damals 17 Jahre alt. Er mochte P-Funk, Reggae, Punk und Dub. Genau wie seine fünf Mitstreiter schwärmte er für expressionistische Malerei, für Fluxus, Dadaismus und Aktionismus. Die Pop Group wollte Elemente dieser Kunstrichtungen in ihrer Musik vereinen, unglaublich viele Platten verkaufen und ihre subversiven Ideen in die Köpfe der Menschen pflanzen. Zum verzerrten Punk-Funk der Pop Group überschlug sich Stewarts Stimme. Er schrie mehr als er sang.

Seine Texte waren Collagen. Politische Parolen vermischte er mit Werbesprüchen, Agit-Prop mit der Cut-up Methode des Schriftstellers William S. Burroughs. Auf der Rückseite von We Are All Prostitutes, der bekanntesten Single der Pop Group, brüllte er Auszüge aus dem Jahresbericht von Amnesty International. Nach zwei Jahren löste sich die Pop Group auf, Mark Stewart gründete mit dem Schlagzeuger Bruce Smith und Ari Up von den Slits die New Age Steppers. Mit deren Produzenten Adrian Sherwood bildete Stewart später die Band Maffia. Ihr von Dub und Reggae beeinflusster Stil war wegweisend für Massive Attack, Portishead und Tricky.

In den vergangenen zwölf Jahren war Stewart vor allem als Produzent tätig. Nun kehrt er mit einem neuen Album zurück, Edit. Es ist so kraftvoll und brachial wie seine früheren Alben, bisweilen aber klingt es etwas unfertig. Raum für schöne Klänge ist hier nicht, die Beschallung von Kaffeehäusern überlässt Stewart den Kollegen von Massive Attack. Zu seinen Klängen lümmelt man sich nicht in dicke Polster oder schlürft Latte Macchiato.

Adrian Sherwood hat das Album produziert. Stewart und er lassen altmodische HipHop-Rhythmen auf indische Tabla-Klänge treffen. Die Techno-Statik in Loner und Almost Human erinnert an die Electronic Body Music der frühen Achtziger. Der Synthesizer fiepst den P-Funk, die Gitarre klingt wie der Fingernagel auf der Schultafel. Der Klassiker der Yardbirds, Mr. You’re A Better Man Than I wird durch den Reißwolf gejagt. Mit Ari Up, der Weggefährtin aus alten Tagen, kämpft sich Stewart durch ein dubbiges Inferno.

Der Journalist Alan Bangs sagte nach einem Konzert der Pop Group einmal, er habe sich gefühlt, wie im Zentrum einer Explosion. So klingt es eigentlich immer, wenn Mark Stewart zu Werke geht.

„Edit“ von Mark Stewart ist auf CD und Doppel-LP bei Crippled Dick Hot Wax erschienen.

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Auf ins Brackwasser, Puppe!

Über die Jahre (33): Bill Callahan alias Smog schreibt ergreifend deprimierende Lieder. Sein “The Doctor Came At Dawn” aus dem Jahr 1996 ist die schönste aller traurigen Platten.

Smog The Doctor Came At Dawn

Bill Callahan hält sich für den Größten. Er könne nicht anders, sagte er einmal in einem Interview. Lange habe er sich angehört, was musikalisch um ihn herum passiere. So sei er zu der Erkenntnis gekommen, ein brillanter Musiker zu sein, vermutlich sogar der brillanteste.

Solche Kraftmeierei hört man nicht gern aus dem Mund eines megalomanen Rappers wie 50 Cent oder eines notorischen Nörglers wie Lou Reed. Aber wer so deprimierende Platten aufnimmt wie Bill Callahan, dem gesteht man ein bisschen Angeberei gerne zu. Seine Lieder veröffentlicht er unter dem Namen Smog, sein The Doctor Came At Dawn aus dem Jahr 1996 ist die schönste aller traurigen Platten.

Ich kaufte mir das Album mit dem abgetakelten Dreimaster auf der Hülle, überspielte es auf Kassette, und fuhr mitten im Winter mit zwei Freunden an eine See in Norditalien. Während wir durch frostbedeckte Landschaften fuhren, sang Bill Callahan mit seiner tiefen Stimme zur gezupften Gitarre: „Four hearts in a can speeding through the countryside”. Dass wir nur drei Herzen in einer rollenden Blechdose waren, störte uns nicht. Kein anderes Lied hätte besser gepasst.

Seitdem hat mich The Doctor Came At Dawn durch viele Winter begleitet. Diese eigenartige Mixtur aus experimentellem Folk und leisem Rock legt man nicht an einem strahlenden Hochsommertag auf den Plattenteller. Das dunkle Kratzen des Cellos, die immer etwas verstimmt klingende Akustikgitarre, hin und wieder ein paar verhallte Effekte und Pianosprenkel – das erfordert kahle Bäume, keine blühenden Zweige.

Zu dieser finsteren musikalischen Kulisse watet Bill Callahan knöcheltief durch das Brackwasser verpasster Gelegenheiten, singt galgenhumorig von den Schattenseiten seiner Liebesbeziehungen. Einsamer Höhepunkt ist All Your Women Things, da ist die Angebetete schon lange fort. Viele ihrer Habseligkeiten hat sie zurückgelassen, Unterwäsche, Riemen, Rüschen und falsche Nägel. Schmerzhaft sind dem Einsamen diese Erinnerungen. Er trägt sie zusammen und bastelt eine Puppe daraus, die zum Fetisch wird.

Mittlerweile hat er sein Pseudonym abgelegt, das Album Woke On A Whaleheart erschien im vergangenen Jahr unter seinem richtigen Namen. Und ob der 42-jährige Callahan nun wirklich so „really, really fucking good“ ist, wie er behauptet: geschenkt! Zweifellos aber hat er mit The Doctor Came At Dawn bewiesen, dass Schönheit und Unbehagen sich nicht ausschließen müssen.

„The Doctor Came At Dawn“ von Smog ist im Jahr 1996 als CD und LP bei Drag City erschienen.

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(32) Naked Lunch: „This Atom Heart Of Ours“ (2007)
(31) Neil Young: „Dead Man“ (1996)
(30) The Exploited: „Troops Of Tomorrow“ (1982)
(29) Low: „Christmas“ (1999)
(28) Nena: „Nena“ (1983)

Hier finden Sie eine Liste aller in der Serie erschienenen Beiträge.

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Das milde Lächeln Miesepeters

Im Greyhound-Bus fuhr Raymond Raposa durch Amerika und nahm seine Lieder auf. Als Castanets hat er sie nun in ein Album gefügt, das wie ein zerkratzter Monolith in karger Landschaft steht.

Castanets In The Vines

Vermutlich täuscht der erste Eindruck. Bestimmt ist der rauschebärtige Finsterling Raymond Raposa ein echter Witzbold. Ein lustiger Geselle, der seine dunkle Seite in einem feuchten Kellerstudio auslebt und dort Platten aufnimmt. Castanets nennt er sich dann, In The Vines heißt sein neuestes Werk.

Raposa brach im Alter von 15 Jahren die Schule ab, tauschte sein Surfbrett gegen die akustische Gitarre und verließ seine kalifornische Heimatstadt San Diego. In Greyhound-Bussen fuhr er vier Jahre lang kreuz und quer durch die USA. Während dieser Zeit entstand sein musikalisches Alter Ego Castanets, unterwegs nahm er mit sparsamen technischen Mitteln Lieder auf und brannte sie auf CD.

Schließlich wurde Sufjan Stevens auf Castanets aufmerksam. Im Jahr 2004 veröffentlichte er Raposas Debüt Cathedral auf seinem Label Asthmatic Kitty, später dann das zweite Album First Light’s Freeze. Um Asthmatic Kitty tummeln sich auch andere seltsame Gestalten, wie die Neo-Progressiv-Rocker The Curtains und die spröde Sängerin Liz Janes. Man hilft sich gegenseitig aus; wenn Raymond Raposa ein Album aufnimmt oder auf Tour geht, ist auch Liz Janes oft dabei. Auf der aktuellen Single Strong Animal ist sie neben Sufjan Stevens im Chor zu hören. So gut können Synergien klingen.

Raposa verbindet ganz unterschiedliche Stilelemente. Der Delta-Blues Charley Pattons hat ihn beeinflusst, sagt er. Ebenso die beklemmenden Aufnahmen des im Jahr 2000 verstorbenen Hip-Hoppers DJ Screw.

Beklemmend klingt auch In The Vines an manchen Stellen. Wie ein zerkratzter Monolith steht es in karger Landschaft. Das eröffnende Rain Will Come verheißt nichts Gutes. Raposas Stimme hallt, als stünde er in einem riesigen Saal, knarzig singt er davon, dass wir das Ende dieses Stücks schon kennen. Fiepsende Störgeräusche und Rückkopplungen setzen ein und drehen seiner akustischen Gitarre den Hals um. Ohne Unterbrechung schließt This Is The Early Game an. Und plötzlich nimmt man erleichtert zur Kenntnis, dass der Miesepeter wohl ein mildes Lächeln im Gesicht trägt, während die Slide-Gitarre sanft wimmert.

Von solchen Kontrasten leben Raposas Alben. Die düster dräuenden Wolken werden hin und wieder von schüchternen Sonnenstrahlen durchbrochen. Sodass es am Ende doch scheint, als sei die Welt eigentlich gut.

„In The Vines“ von Castanets ist als LP und CD bei Asthmatic Kitty/Cargo erschienen.

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Radikal selbstgemacht

Der New Yorker Folksänger Jeffrey Lewis nimmt sich die Punkband Crass vor und verpasst einem Dutzend ihrer Stücke eine zarte Lasur.

Jeffrey Lewis 12 Crass Songs

Etwa 23 Jahre ist es her, dass die englische Punkband Crass die Gitarren an den Nagel hängte. Sie waren Anarcho-Kommunarden, bis ins Absurde politisch korrekt. Nichts ließen sie sich aus der Hand nehmen, betrieben ein eigenes Plattenlabel und organisierten ihre Konzerte. Auf diesen führten sie selbstgemachte Kunst, Literatur und Filme vor und genossen das selbstgekochte vegane Essen gemeinsam mit den Besuchern. Do It Yourself, D.I.Y. war ihr Motto. Crass spielten aggressiven Punk, seltsam monoton und statisch.

Damals regierte in Großbritannien Margaret Thatcher, die Bergarbeiter streikten und die nukleare Bedrohung wuchs. Crass fanden viele Gleichgesinnte, ihr gemeinsames Ziel war der Kampf gegen die Herrschenden, „das Schweinesystem“.

Jeffrey Lewis spielt auf seinem neuen Album 12 Crass Songs ein Dutzend ihrer Stücke nach. Er kommt aus der umtriebigen New Yorker Folkszene, Kritiker heften ihm gern das nichtssagende Etikett „Antifolk“ an. Lewis spielt Gitarre und zeichnet Comics, wie Crass ist er für die Gestaltung seiner Plattencover selbst verantwortlich. Aufgewachsen ist er, so geht die Legende, mit den Platten der Folkrock-Band The Fugs, seine Eltern lebten in Greenwich Village und musizierten selbst.

Den Stücken der Punks hat er auf gleichermaßen humor- wie respektvolle Art neues Leben eingehaucht. Er folgt nicht der gegenwärtigen Mode, Country- oder Bossanova-Versionen von Klassikern einzuspielen, sein Zugang erinnert an die musikalischen Dekonstruktivisten Eugene Chadbourne und Jad Fair. Und wenn die großen US-amerikanischen Folksänger Pete Seeger und Woody Guthrie noch musikalisch aktiv wären, würden sie nicht vielleicht ähnlich klingen wie Lewis’ Interpretation von Crass?

In einem Interview sagte Jeffrey Lewis, er habe große Achtung vor Crass und ihren radikalen Ansichten, auch wenn er nicht immer mit ihnen übereinstimme. Und frage ihn jemand, weshalb er von Tierrechten sänge und gleichzeitig Lederschuhe trage, könne er antworten: „Ich hab den Text nicht geschrieben!“

„12 Crass Songs“ von Jeffrey Lewis ist erschienen bei Rough Trade.

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