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Herz bleibt stumm

 
Hot Chips neues Album „Made In The Dark“ wird überall gepriesen. Sollte diese Musik wirklich richtungsweisend sein, erwartet uns nicht viel Freude.

Hot Chip

Diese Band stehe für die neue, digitalisierte Bohème, sagt der Tagesspiegel.

Diese Band sitze äußerst erfolgreich zwischen den Stühlen, sagt die FAZ.

Diese Band klinge cool wie sonst nichts, sagt der Musikexpress.

Diese Band sei eine Band völlig neuen Typs, sagt die Spex.

Dieses Album sei die Blaupause für elektronische Popmusik 2008, sagt die Intro.

Dieses Album werde eines der besten dieses Jahres sein, sagt die Welt.

Dieses Album sei das Album der Stunde, sagt DIE ZEIT.

Und was sagt das Herz? Nichts. Es bleibt stumm. Unberührt.

Als im Jahr 2006 Hot Chips Platte The Warning erschien, sang und jubilierte es, war erfüllt von Melodien, pochte im Rhythmus. Jetzt mag es sich nicht regen.

An seiner Statt erwacht der Geist und fragt: Was ist passiert? Was ist anders an Made In The Dark? Er legt den Finger in die Rille und horcht.

Elektronik mischt sich mit Elementen aus Rock, Soul, Folk und Rhythm’n’Blues – es ist für jeden was dabei. Hot Chip zitieren sich durch die Popgeschichte. Der Geist hat seine Freude, all diese feinsinnigen Referenzen zu ordnen. Aber etwas reizt die Nerven: Immer immer wieder wieder wieder wiederhohohoholen sich die Phrararararasen.

Rhythmen und Harmoniefolgen drehen sich in engen Zirkeln, das liegt in der Natur der Popmusik. Melodien jedoch schlagen für gewöhnlich größere Bögen, als Alexis Taylor sie mit seinem sanften Tenor intoniert. Hot Chip verwenden die Stimme als weiteres Instrument in einem kleinteiligen Tanzmusikgefüge. Was auf dem Vorgängeralbum mit einer ironischen Warnung begann („Over and over and over and over: The smell of repetition really is on you“), klingt nun erschöpft und einfallslos. Offenbar haben die liebenswerten Tonschlangen, die sich einst durch Hits wie Colours und And I Was A Boy From School wanden, zwischenzeitlich ein Lineal verschluckt.

Auf Made In The Dark legt sich die Monotonie des Gesangs über farbenfrohes Gerassel. Hin und wieder fügen sich Schlagzeug, Gitarren und Synthesizer zu einem Stampfen. Dann wollen sich Füße und Beine freilich bewegen, der Geist ist d’accord. Aber das Herz bekommt lediglich schlichte Balladen vorgesetzt, so das Titelstück Made In The Dark oder Whistle For Will. Musikalisch fad. Da zündet kein Funke. Wie den Melodien fehlt auch den Stücken im Ganzen ein klingender Bogen. Hot Chip kleben abenteuerliche Versatzstücke aneinander – Schlafzimmerproduktion der leichtfertigsten Art.

Es reicht, Finger von der Rille. Warum sprechen alle über diese Band und diese Platte?

Die Vermutung liegt nahe, dass die Musikbranche ihre Hebel angesetzt hat, um eine recht verbindliche Londoner Jungsgruppe zum nächsten großen Ding zu stilisieren: Schaut her, Hot Chip schreiben ihre Musik daheim, spielen mit den Stilen, tragen große Brillen, Bärte und hässliche Pullover, sind nebenher DJs und haben ein Auge für Design! Solch eine Band muss doch aufregend klingen – dies verbreiten die PR-Agenten, und die vereinigte Presse glaubt es ihnen.

Oder kratzt diese Platte an der Eitelkeit der Journalisten? Es hat den Anschein, als wollten sie wiedergutmachen, dass sie dem herausragenden Vorgängeralbum The Warning nicht die angemessene Aufmerksamkeit haben zukommen lassen. So ergötzen sie sich jetzt am mittelmäßigen Nachfolger. Wenn so viele vermeintliche Meinungsführer in ein blasses Echo einfallen, ist zwangsläufig ein neuer Trend ausgerufen.

Obwohl – Trend? Popmusik bringt im besten Fall Herz, Geist und Körper in Balance. Sollte diese Platte richtungsweisend sein, erwartet uns nicht viel Freude.

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„Made In The Dark“ von Hot Chip ist als CD und LP erschienen bei EMI.

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