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Herrlich blasiert

 

Über die Jahre (52): Mit ihrem zweiten Album zeigten Queen Mitte der Siebziger, welch fantastische Rockband sie waren. Lustvoll schoss die Band übers Ziel hinaus.

Cover

 
Queen: The Fairy Feller’s Master-Stroke
 
Von dem Album: Queen II EMI (1974)

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Es gilt als ewiges Menetekel der Rockmusik: das zweite Album. Dass auch eine Band wie Queen mit dieser Last zu kämpfen hatte, scheint angesichts des Erfolgsmusicals We Will Rock You und der gruseligen Schändung Queen & Paul Rogers nahezu unmöglich. Hatte diese Band nicht schon immer Hits? Keineswegs.

Als sich Queen im August 1973 in den Londoner Trident-Studios einschlossen, hatte ihr namenloses Debütalbum von den Kritikern allenfalls gut gemeintes Schulterklopfen erhalten. Mit dem Nachfolger langten die vier Musiker dann ordentlich hin: Zum ersten (und auch letzten) Mal versuchten sie sich an einem Konzept-Album. Die Platte unterteilten sie in die White Side und die Black Side, in den Texten ließen sie allerlei fantastisches Personal herumspuken. Bizarr und düster, theatralisch und maßlos übertrieben – Queen II hielt, was das imposante Coverbild des Starfotografen Mick Rock versprach.

Wer Queen II auflegt, betritt ein barockes Schloss voller Geheimgänge und Falltüren. Immer wieder öffnen sich neue Wandelgänge, Korridore und dunkle Hallen. Zu den orchestralen Gitarren von Procession schreitet es sich noch erhaben durch das Haupttor, wenig später schon lustwandelt man mit der White Queen durchs Efeulabyrinth. Dazu spinnen Queen einen dunklen Baldachin aus unzähligen Gitarrenspuren, Chorgesängen und pittoresken Klavierverzierungen. Für The Fairy Feller’s Master-Stroke ließ sich der Kunststudent und Sänger Freddie Mercury von einem Gemälde des viktorianischen Malers Richard Dadd inspirieren: Über rasende Cembalo-Akkorde schichtet die Band immer wieder neue Gesangsspuren, wirbelt Stereoeffekte und Instrumente durcheinander. Im Text lässt Mercury der englischen Exzentrik freien Lauf: “Oberon and Titania watched by a harridan / Mab is the queen and there’s a good apothecary-man”.

Die Band konnte offenbar selbst nicht glauben, welch seltsames Etwas sie da im Studio erschaffen hatten. Um dem Verdacht der technischen Mogelei zuvorzukommen, ließ sie den Hinweis “Nobody played the synthesizer“ auf die Hülle drucken. Ein Satz, der bis in die achtziger Jahre auf jedem Queen-Album zu lesen war.

Wie auf einem Gemälde trugen Queen Schicht um Schicht auf, um den ganzen Zauber am Schluss noch einmal kräftig überzupinseln. Barocke Klaviere, Heavy-Metal-Attacken, romantisches Folk-Gezupfe, weinende Gitarrenwände – alles übereinander, ineinander und aufeinander gestapelt. Immer wieder umrahmen Freddie Mercurys grandiose Chorarrangements das Spektakel und winden sich in sakrale Höhen. Herrlich blasiert und lustvoll schießt die Band übers Ziel hinaus. In seinen knapp 40 Minuten Spielzeit enthält Queen II musikalische Einfälle für die doppelte Spieldauer. Nicht umsonst sollte die Platte ursprünglich Over The Top heißen.

Der Überfluss an musikalischen Zaubertricks und mystischem Firlefanz verdirbt den Genuss nicht, dafür rocken Queen einfach zu gekonnt. Während Bands wie Genesis ihre Gnome und Kobolde unter musikalischen Skurrilitäten begruben, waren Queen längst beim Heavy Metal angekommen. Deutlich sind die Einflüsse von Led Zeppelin und Black Sabbath zu hören. Lieder wie Ogre Battle und Father To Son beweisen, welch hochklassige Rockband Queen eigentlich waren.

Queen II wurde kein Hit, zu extravagant, zu schwer verdaulich war das Drama der Rock-Opern im Taschenformat. Nur selten konnten Fans die Lieder der Platte im Konzert hören, auf der Bühne ließ sich das komplexe Werk einfach nicht nachspielen. Selbst Seven Seas Of Rhye, immerhin das berühmteste Lied der Platte, dürfte nur echten Liebhabern bekannt sein.

In den folgenden Jahren feilten Queen immer weiter an ihrem Klang – so glamourös kunstvoll wie auf Queen II war die Band jedoch nie wieder.

„Queen II“ von Queen ist im Jahr 1974 bei EMI erschienen. Ende des April werden die vier Alben aus den Jahren 1974 bis 1976 auf schwerem Vinyl wiederveröffentlicht.

Eine vollständige Liste der bisher in der Rubrik ÜBER DIE JAHRE besprochenen Platten finden Sie hier.

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