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Kiffen im Anzug

 

Der 76-jährige Willie Nelson überlässt das Große Amerikanische Liederbuch nicht den gegelten Croonern. Auf seinem neuen Album bestimmt er selbst, wie die Klassiker zu singen sind

Unser Audioplayer wird derzeit überarbeitet
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Das Klavier klimpert gediegen durch die Lounge, die Besen des Drummers rascheln über die Felle. Streicher umsäuseln Damen in eleganten Cocktailkleidern, Herren im Smoking. Gedämpftes Licht, gepflegte Atmosphäre, gerührte Martinis. Gleich wird ein lässiger Frank Sinatra hereinschlendern und…

Draußen brummt ein Diesel, es riecht nach Biosprit aus Sojabohnen. Ein Riesencampingbus fährt vor, die Honeysucke Rose IV, glänzender Edelstahl, Airbrush-Cowboy vor Sonnenuntergang. Herein stiefelt ein 76-jähriger Texaner, schwarzer Anzug, weißes Hemd, Fliege. Er zieht noch mal am Joint, reißt sich das Stars-and-Stripes-Stirnband vom Kopf und schüttelt das hüftlange, weiß melierte Kupferhaar frei. Dann fährt sein krakelender Tenor der Band zwischen die ziselierten Töne: „Fly me to the moon…“

Willie Nelson konnte noch nie singen, behaupten sogar manche seiner Fans. Pure Koketterie. Richtig ist: Seine hohe, brüchig tremolierende Stimme besitzt einen ganz eigenen Charme. Das Alter, die vielen Tourneen, der Konsum alkoholischer Getränke und tetrahydrocannabinolhaltigen Räucherwerks haben ihr eine Reife verliehen, wie man sie, einige Lagen tiefer, aus den späten Jahren von Johnny Cash kennt.

Mit dem Man in Black verbindet Nelson einiges. Beide gehören zu den Begründern des Outlaw Country, einem Versuch, sich vom glatten Nashville-Mainstream der siebziger Jahre abzusetzen. Mit Cash, Waylon Jennings und Kris Kristofferson tat Nelson sich Mitte der Achtziger zeitweise zur Band The Highwaymen zusammen.

Aber Willie Nelson betreibt auf seinem aktuellen Album American Classic die prämortale Nachlasspflege ganz anders als Cash auf seinen von Rick Rubin produzierten American-Records-Alben. Nicht so reduziert auf Stimme und Gitarre wie bei Cash oder wie auf seinem eigenen im März erschienen Album Naked Willie, sondern umspielt von einer hochkarätigen Band, mit dem Crusaders-Pianist Joe Sample etwa oder Christian McBride, dem Bass-Professor am Berklee College.

Kein Wunder: Das Album erscheint beim jazzgeschichtsträchtigen Label Blue Note. Zu dessen Familie gehört auch Norah Jones, die hier ein frivoles Duett mit Nelson singen darf, It’s Cold Outside – er als schmutziger alter Mann, sie als sein sich zierendes junges Opfer. Und mit Diana Krall teilt Nelson sich in If I Had You, auch so ein Sinatra-Standard.

© Blue Note
© Blue Note

Weil der Cowboy auf dem Cover Anzug trägt und die Combo ihn mit zurückhaltendem Hotelhallen-Jazz umschmeichelt, höhnen Kritiker schon, der alte Freak habe sich zum Konservativen gewandelt. Es sei ja schön, lästern sie, dass Nelson noch jeden Song im Schlaf singen könne – aber deshalb müsse er es ja nicht tun. Dabei wird umgekehrt ein Sporenstiefel daraus: Der kiffende Hippie mit dem Zopf überlässt das Große Amerikanische Liederbuch nicht den gegelten Croonern, sondern bestimmt ganz unbekümmert selbst, wie die Klassiker zu singen sind.

Vielleicht geht es manchem US-Amerikaner gegen Strich, dass einer wie Nelson zum Country-Pantheon zählt. Einer, der seit einem halben Jahrhundert Marihuana raucht und sich für dessen Legalisierung einsetzt, eine eigene Biodiesel-Marke vertreibt, Kleinbauern, die US-Demokraten und Kinky Friedman unterstützt. Einer, der zur genre-untypischen Ironie fähig ist und Songs singt wie Cobwoys Are Frequently, Secretly Fond Of Each Other über heimliche Homosexualität unter Lederstiefelträgern oder Mammas, Don’t Let Your Babies Grow Up To Be Cowboys, in dem er Müttern empfiehlt, ihre Kinder doch lieber „Ärzte, Anwälte und so“ werden zu lassen.

Nelson hat vor gut 30 Jahren schon einmal in die Klassiker-Kiste gegriffen: 1978 nahm er Stardust auf, mit Songs wie Georgia On My Mind und Moonlight In Vermont. Freunde befürchteten damals, er werde sich mit dem Mainstream-Zeug die Karriere ruinieren, die gerade so schön im Outlaw-Genre abgehoben hatte – doch die Platte wurde eine seiner erfolgreichsten und steht immerhin als Nummer 257 auf der Rolling-Stone-Liste der besten 500 Alben aller Zeiten.

Zwischen diesem Erfolg und dem aktuellen Album liegen turbulente Jahre und knapp 17 Millionen Dollar Steuerschulden, die Nelson mittlerweile bezahlt hat. Er bemüht sich, nicht mehr mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen – was nicht leicht sein dürfte: Wenn sein auffälliger Bus durch die USA rollt, juckt es jeden Highway-Cop in den Fingern, ihn anzuhalten und nach verbotenen Substanzen zu durchsuchen.

Aber Nelson ist mit sich im Reinen. Er wird von den Größen des Geschäfts verehrt und hat selbst längst genug Standards geschrieben, um sich zur Ruhe zu setzen. Seinen größten, Always On My Mind, hat er nonchalant ans Ende des neuen Albums gesetzt.

Wenn das unter Nelsons hartem Anschlag entstandene Loch seine nylonbesaitete Gitarre namens Trigger unspielbar macht, dann hört er auf, hat er einmal gesagt. Noch ist es nicht so weit. Und selbst wenn: Der Albumtitel American Classic verzichtet nicht umsonst auf das Plural-S. Willie Nelson selbst ist längst ein Klassiker.

„American Classic“ von Willie Nelson ist erschienen bei Blue Note/EMI.