Was ist eigentlich Krautrock? Schweineorgel und Klampfe, LSD und schlechtes Englisch gehören wohl dazu. Aber doch sicher noch mehr! Eine neue Kompilation widmet sich dem Genre
Krautrock ist längst aus der Nerd-Ecke raus. Wiederveröffentlichungen, Sampler und Nostalgie-Editionen haben das deutsche Musikphänomen der späten sechziger, frühen siebziger Jahre außerhalb des geschlossenen Zirkels aus Parka tragenden ewigen 68ern und Odenwälder Landkommunen bekannt gemacht. Das Doppelalbum Krautrock. Masters & Echoes soll jetzt zeigen, wie die westdeutsche Musik von vor 40 Jahren die Bands von heute beeinflusst.
Das gelingt
nur bedingt.
Fangen wir bei den Lücken an: Kein Grobschnitt? Kein Epitaph? Kein Popol Vuh? Und vor allem: kein Can? Hm. Klaus Schulze muss im Alleingang Tangerine Dream ersetzen (und floated 24 Minuten lang). Auch Kraftwerk, die Fortsetzung des Krautrock mit elektronischen Mitteln, sind nur durch ihr Kurzzeit-Mitglied Michael Rother vertreten, obwohl die Cover-Gestaltung mit Autobahnsymbol und Roboter in der Kraftwerkbilderwelt wildert.
Die außerparlamentarische Opposition fehlt fast völlig, APO-Bands wie die Politkabarettisten von Floh de Cologne, Rio Reisers Macht-kaputt-was-euch-kaputt-macht-Combo Ton Steine Scherben und die gewerkschaftsnahe Lokomotive Kreuzberg müssen leider draußen bleiben. Das riecht verdächtig nach Verharmlosung. Aber Agitation Free sind ja dabei, die in der Kommune 1 ihren Proberaum hatten und den Soundtrack der Berliner Stadtguerilla lieferten.
Die Schublade mit dem Schildchen Krautrock ist ja auch gar zu gut gefüllt: John Peel, der legendäre BBC-Moderator, soll den Begriff 1968 erfunden haben; gemeint war so ziemlich alles, was aus Deutschland kam, von der Psychedelik der Amon Düüls über die Elektronik von Tangerine Dream bis zum Rock von Birth Control.
Michael Rother, der es als Mitglied von Neu!, Harmonia und Kraftwerk wissen muss, erinnert sich so an das Musizieren in der ganz großen Schublade: „Die Aufbruchstimmung, die es zu der Zeit gab, von ‘68 weitergehend, hat das alles sicherlich ermöglicht, auch die Durchsetzung innerhalb der Musikwelt. Es war ein Klima des Aufbruchs, das kann man rückblickend schon so einwandfrei festhalten. Einige waren mutiger, radikaler, und andere traditioneller. Es war auf jeden Fall eine Zeit, in der nach vorne geguckt und der Versuch unternommen wurde, kulturelle Identität im weitesten Sinn auch in Deutschland von diesen modern orientierten Musikern zu kreieren.“
Masters & Echoes greift sich da ein kleines, ein allzu kleines Segment heraus – glaubt man der Zusammenstellung, dann ist Krautrock eine Mischung aus Pink Floyd und Lilalaunebär, aus Grateful Dead und grünen Bohnen, aus Frank Zappa und Frank Zander. Gemeinsame Nenner: latenter Bombast, von dem man nie ganz sicher sein kann, wie ernst er gemeint ist; bewusstseinerweitertes Gewaber, von Schweineorgel und Muckerklampfe strukturiert. Dazu ein Englisch, das nur mit Mühe als solches zu erkennen ist.
Aber eben auch – und das macht diese Zusammenstellung dann doch hörenswert – eine genialisch-unbekümmerte Attitüde. Eher Spielerei als radikale Avantgarde, eher liebenswerter Universaldilettantismus als musikhandwerklich solides Experiment. Radiokompatible Songformate? Scheiß drauf. Die Erwartungen der Fans? Kackegal. Der Jugendschutz? Phallus Dei, hieß ein Amon-Düül-Album.
Wie sagt Jean-Hervé Peron, einst Bassist von Faust: „Wir waren jung, wir waren kompromisslos! Haha, fuck it all! Wir waren verzehrt von einem inneren Feuer, das keiner löschen konnte! Auch nicht mit Geld und auch nicht ohne Geld. Oder mit Drogen, oder sonstwas. Es war alles nicht schwierig, es war selbstverständlich: Die Welt gehört uns und die Welt wartet nur auf uns!“
Naja, da mag ein daumendicker Schuss Nostalgie die Sinne benebeln. Aber es stimmt schon: Die Krautrocker klingen anders als die angeblich vom Krautrock Inspirierten auf CD zwei. Die Gravenhursts und Stereolabs, LCD Soundsystems und To Rococo Rots, die Jesus And Mary Chains, International Ponys und Cloudland Canyons, die da in seinem Geiste, nämlich dem des Krautrock, versammelt sind, die mögen ja Spurenelemente von damals aufweisen, aber die Musizierhaltung ist doch eine andere. Zum Beispiel beherrschen die ihre Instrumente. Und können Englisch.
Wo die Inspiration liegen soll, ist oft nur zu erahnen. Klar, elektronische Pioniertaten haben Spuren in der Musikgeschichte hinterlassen. Und wie die Wohngemeinschaft Faust in der Lüneburger Heide auf Ölfässern und Schrott rumpelte, das war Industrial avant la lettre, das hatte Bestand.
Aber Krautrock ist eben ein reichlich künstlicher Genrebegriff, der geografisch und zeitlich das Seziermesser an die Musikgeschichte anlegt, nicht so sehr stilistisch. Im Krautrocktopf brodelten ähnliche Zutaten wie in anderen Kesseln, und die meisten werden noch heutzutage in der ein oder anderen Mischung von Musikern verrührt. Dass psychedelische Tendenzen nicht völlig verschwanden, als Lysergsäurediethylamid illegal wurde, ist keine Sensation. Die Auswahl auf CD zwei wirkt daher noch willkürlicher als die von Nummer eins. Ob das Booklet weiterhilft? Die Promo-Scheibe enthält keins. Aber sicher ist: Mehr Krautrock wäre spannender gewesen.
„Krautrock. Masters & Echoes“ ist erschienen bei Edel.