Franz Koglmanns neue CD „Lo-lee-ta“ balanciert zwischen elektronischen Klangmodulationen und swingenden Passagen, als würden verschiedene Seelen in einer Brust ringen.
Zwei Seelen oder mehr wohnen, ach, in so mancher Brust. Warum sollte es Franz Koglmann, dem Trompeter und Flügelhornspieler, Komponisten und Klangorganisator aus Wien, anders gehen? Lo-lee-ta. Music on Nabokov. „…mit ‚einem Luftzug des Jenseits’…“, heißt seine neue CD. Er hat sie mit seinem vor zwanzig Jahren gegründeten Monoblue Quartet und dem Wiener Pianisten Wolfgang Mitterer eingespielt.
Eine Koglmann-Seele verzehrt sich darin nach Gemeinschaft, sucht das Miteinander, genießt den sanften Zusammenklang, einen akustisch wohl austarierten Gruppensound, cool wie damals in den Experimentierzirkeln an der amerikanischen Westküste. Die andere Seele propagiert Individualismus.
Mit dem Monoblue Quartet hat Koglmann die acht der vierzehn Stücke der neuen CD umgesetzt, die auf Lolita und andere Figuren aus den Romanen des russisch-amerikanischen Großschriftstellers Nabokov Bezug nehmen. Es sind vier Musiker, die einander genau kennen und in wechselnden Konstellationen und Versuchsanordnungen präzise ihre Rollen übernehmen.
Seine eigene Stimme als Trompeter und Flügelhornspieler nimmt Koglmann in diesem Zusammenhang über weite Strecken zurück: Während Tony Coe mit der Klarinette (und manchmal mit dem Altsaxofon) zarte Wolken in den Vordergrund schiebt, mischt Koglmann mit gedämpftem Ton lang gezogene Melodielinien in die musikalischen Texturen, die der Gitarrist Ed Renshaw und der Kontrabassist Peter Herbert weben. Dann wieder treten die vier in einen Austausch der Ideen und Stimmen, der frei ist von tonalen Vorgaben und dennoch unaufgeregt und transparent.
Sehr beweglich ist dieses Spiel zwischen Extremen, zwischen Neuem und Vertrautem, zwischen Erotik und Vergänglichkeit: Es skizziert in einem Moment die verschiedenen Schichten einer deutlich umrissenen Melodie, flirtet kurz in Richtung Jahrmarkt und lässt dann die Spannung in eine flott swingende Passage auslaufen.
Nein, man braucht keine Literatur, um sich von dieser Musik umgarnen zu lassen, keinen Nabokov und auch keine Lolita. Aber Franz Koglmann sieht sich selbst als einen Musiker, der schon immer besonders an Literatur, Film und Bildender Kunst interessiert war. Und mit dem Titel gibt er seiner Musik den semantischen Rahmen vor, in dem sie gehört werden soll: kühl und gelassen wie der Schriftsteller Nabokov, höchst interessiert, doch mit leicht distanzierter Ironie den menschlichen Trieben und Tragödien beim Entstehen und Vergehen zusehend.
In den sechs kurzen Duetten mit Wolfgang Mitterer, die wie eine Schwarzblende zwischen die auf Nabokov bezogenen Stücke geschnitten sind, ist ein anderer Koglmann zu hören. Hier ist Raum zu füllen, hier steht er als spielender Musiker im Zentrum, muss agieren und reagieren.
Während Mitterer mit einfachen Mitteln wie einem stoisch wiederholten Bass oder einem im Innern des Flügels getupften Akkord eine ebenso einfache wie wirkungsvolle Klangkulisse aufbaut und sein Gegenüber zusätzlich mit in Echtzeit eingesetzten elektronischen Klangmodulationen herausfordert, strahlt hier sein Ton, verhängt sich dann mit Atemluft oder verhallt langsam in der Stille. Hier bekommt ein durch die Oktaven rutschendes Glissando plötzlich einen surrealen Schweif. Und der Trompeter beginnt, sich am Echo seiner eigenen Phrasen abzuarbeiten, als hätten die verschiedenen Seelen in seiner Brust nur auf einen Anlass gewartet, miteinander ringen zu können, bevor sie sich wieder auf das Deutungsspiel mit den Nabokovschen Vorlagen einlassen.
„Lo-lee-ta“ von Franz Koglmann ist bei col legno erschienen.
Dieser Artikel wurde in der ZEIT Nr. 1/2010 veröffentlicht.