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Schwedenpop + Saxofon = Punk

 

Love Is All nennt sich ein schräges Quintett aus Göteborg. In seinem Kosmos werden schiefe Töne zu Kunst und Trashpop zum Labsal geschundener Großstadtseelen.

© Fredrick Johnson

Eigentlich hat das Saxofon nichts zu suchen im Indiepop: Zu viel Pathos, zu wenig Realness, zu viel Schulterpolster, zu wenig Haltung, zu wenig Achtziger für echte Retrotauglichkeit und zu viel, um ernst genommen zu werden jenseits des R’n’B. Das Saxofon ist Johnny Logan und ABC, Partykapelle und Schlagerfilm; wie kann es da heute funktionieren, ohne kommerziell oder manieriert zu wirken? Es kann: im verschrobenen Kosmos der schwedischen Trashpopband Love Is All.

Wie ein fernes Alarmsignal hallt es durch ihr Album Two Thousand And Ten Injuries. Wie eine Rückkopplung legt James Ausfahrt seinen Bläseratem über die dezent panische Stimme seiner Sängerin Josephine Olausson. Wie eine Sirene ruft es ihr im wunderschönen Stück Early Warnings Hilfe herbei, nachdem die junge Dame in der Wanne ausgerutscht ist. Mal aufgeregt, mal dezent, hier als Motor der Melodie, da als analoges Accessoire, gern hintergründig, nie vordringlich – überall mischt sich dieses monochromste aller Instrumente ein. Und mischt damit auf, was man sonst als strukturell saxofonfrei bezeichnen darf: Punk.

Ja, tief in ihren Herzen machen Love Is All Punk, einen sehr aufregenden, abwechslungsreichen, chaotischen, kreativen und lebensfrohen. Musikalisch wirkt ihre Musik trotz aller Perfektionsverweigerung so versiert, dass die schiefen Töne und Disharmonien zu Kunstfertigkeiten werden wie inszenierte Stürze eines vermeintlichen Eislaufanfängers im Film.

Vorn Nikolaus Spardings Gitarre, bisweilen völlig überdreht, aber nicht haltlos. Dahinter Johan Lindwalls Bass, oft eine Spur zu schnell für die anderen, hibbelig, ein bisschen funky, wo Funk eigentlich gar nicht hingehört. Daneben Markus Görschs Schlagzeug, das sich fröhlich bei Psychobilly, Britrock, gar Phil Collins oder Jello Biafras Metaljazzcoreprojekt Lard bedient, dabei jedoch nie angestrengt wirkt. Wie auf Koks schreit Josephine Olaussons ihre quäkende Gesangsparodie dazu, verstörend und bezaubernd wie Björk in besseren Tagen.

Man könnte das Ganze als Mashup bezeichnen, zusammengerührt, bis keine Zutaten mehr erkennbar sind – wie in der modernisierten Sixties-Fanfare Kungen, wo bald alles drunter und drüber geht. Das Saxofon, na klar, immer mittendrin.

Dennoch birgt das unablässige Durcheinander von Love Is All eine heitere Entspanntheit. Schließlich haben sie nach zwei Platten, besser: Kompilationen, beim New Yorker Undergroundlabel What’s Your Rupture alle Zeit der Welt investiert, um nun mit einem echten Album auch im nichtschwedischen Europa bekannt zu werden.

Diese Geduld übersetzt sich in konzentrierte Spielfreude, die nie unter den mühsamen Aufräumarbeiten des kreativen Wirrwarrs ihrer Ideen zu ermatten droht. Two Thousand And Ten Injuries klingt schmerzhaft, ist aber geschundenen Großstadtseelen ein Labsal, die ein bisschen ausgelassene Lebenslust auf den Asphalt kippt. Auch das kann Punk sein. Trotz Saxofon. Oder gerade deswegen.

„Two Thousand And Ten Injuries“ von Love Is All ist erschienen bei Polyvinyl Records/Cargo.