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Nennen wir es Minimal Kraut

 

Es braucht nicht viel, um fesselnde Musik zu basteln. To Rococo Rot exerzieren den Krautrock durch, mit eindrucksvoller Schlichtheit.

© Adi Wolotzky

„Krautrock? Wir waren schon hier!“ Welch unschöne Schmiererei haben Oasis da am Düsseldorfer Hauptbahnhof hinterlassen. Keine Zweifel, Krautrock ist angesagt derzeit. Jede zweite Rockband beruft sich auf Faust und Can und Harmonia, wenn sie die Gitarren oder Keyboards in repetetive Schwingungen bringt. (Man mag das Wort Krautrock ja beinahe schon nicht mehr aussprechen.)

Dieser Tage kommt der Krautrock nach Hause. Zu ihrem Album Mosaik 2014 ließ sich die Düsseldorfer Band Kreidler kürzlich von Neu! inspirieren und von Kraftwerk (die ja gerne in den Kreis der Rocker einsortiert werden, ohne jemals eine Gitarre angefasst zu haben). Nun nehmen sich To Rococo Rot das repetitive Rocken der Siebziger vor. Auch sie kommen in der Mehrzahl aus Düsseldorf.

Speculations heißt ihre Platte, und sie sieht aus, wie sie klingt. Metaphorischer als in dieser Hülle ließe sich die Instrumentalmusik, die To Rococo Rot machen, nicht verpacken: Hunderte, Tausende von Drahtschlaufen liegen da ineinander verzwirbelt, jede einzelne ist noch zu erkennen – und doch sind sie untrennbar miteinander verbunden. Die Schlaufen scheinen sich zu gleichen, erst im unzählbaren Nebeneinander unterscheidet sich eine von der anderen. Eine Hand greift in das Drähteknäuel.

Das klingt dann so: Jedes Stück basiert auf wenigen tief ineinander geschraubten Motiven und deren stoischer Wiederholung, die Variationen sind jeweils minimal. Eine Schlaufe gleicht der anderen, in der endlosen Repetition erst wird jede eigen.Speculations pulsiert organisch und verwoben. Die drei Musiker ringen viele Klänge echten Instrumenten ab, solchen mit Saiten und Fellen. Darunter gewoben sind die unechten, die mit Tastatur und Drehknopf. Klangwände? I wo. Die Textur der Klänge von To Rococo Rot ist ziseliert wie eh und je. Nennen wir diese neue Richtung einfach Minimal Kraut.

Am eindrücklichsten funktioniert dieses Schema im Stück Forwardness. An einem Gerüst aus stapfendem Bass und zischelndem Schlagzeug klettern winzige Muster von Marimba, Gitarre und Klavier und ein gurgelndes Computersample empor. Beinahe unmerklich verschieben sich die Klänge zueinander, stolpert die Marimba über die Gitarre, überholt das Gurgeln den Bass. Es braucht nicht viel, um ein fesselndes Stück Musik zu basteln. Vielleicht bleiben die Lieder auch deshalb aufregend, weil sie alle nur drei, vier Minuten lang sind?

To Rococo Rot gehen dem Trend natürlich nicht auf den Leim. Ihnen ist der Krautrock nicht Versatzstück, sie exerzieren ihn durch. So hielten sie es schon mit der Elektronika vor zehn, zwölf Jahren, als sie mit ihren fabelhaften Alben Veiculo und The Amateur View das elektronische Fach neu sortierten. Auch damals strickten sie ihre Lieder aus der steten Wiederholung minimaler Muster – das rockte damals weniger, deswegen nannte es niemand Kraut. Nun, das Rocken macht schon einen Unterschied. So ist Speculations von den Stimmungen der frühen komplexen Klangschichtungen so weit entfernt wie von dem hermetischen Wummern ihrer letzten Platten. Dennoch klingt das neue Album unverkennbar nach To Rococo Rot. Ein Kunststück!

Experimenteller und körperloser (und vor allem länger) als das bislang Beschriebene ist allein das abschließende Stück Fridays. Da sitzt dann auch tatsächlich der Keyboarder von Faust, Hans Joachim Irmler, hinter der selbstgebauten Orgel. Die Hand auf der Plattenhülle scheint an den Drähten gezogen zu haben, die schönen Schlaufen sind dahin. Doch auch diese heillos chaotische Verknotung ergibt in ihrer Unsinnigkeit sicher irgendeinen Sinn. Bislang nicht, vielleicht aber bei zehnten Hören. Warten wir es ab.

„Speculations“ von To Rococo Rot ist auf CD und LP bei Domino Records erschienen.