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Mischen bis in den Morgen

 

Alle DJs verkaufen schnöde Mix-CDs, aber Michael Mayer macht es anders: Seine „Immer“-Reihe verströmt eine pulsierende Wärme und verbindet Techno mit Pop.

© Linda Bujoli

Der DJ von heute hat es nicht leicht. Um über die Runden zu kommen, muss er nicht nur in Clubs, auf Parties und Festivals auflegen. Sein Publikum hängt auch zuhause auf dem Sofa herum. Von dort aus will es dem DJ in den Plattenschrank schauen.

Ein Blick auf die CD-Stapel im Fachgeschäft zeigt: Es wird gemischt, zusammengestellt und kompiliert, was das Zeug hält. Im Wust der Veröffentlichungen den Überblick zu behalten, ist mühselig. A Very Special Collection, A Personal Journey oder Exclusively mixed by versprechen die Plattenhüllen. Viele DJs erwecken längst den Eindruck, sie verdienten ihr Geld ausschließlich mit dem Zusammenstellen fremder Musik. Bekannte DJs wie Dimitri from Paris haben es mittlerweile auf sechzehn solcher Tonträger gebracht, der deutsche Techno-Altstar Sven Väth hat immerhin schon zehn CDs vollgemischt.

Michael Mayer, DJ und Mitbetreiber des Kölner Techno-Labels Kompakt, lässt es ruhiger angehen. Seit 2002 gibt es seine Immer-Reihe. In acht Jahren sind erst drei Folgen erschienen, die neuste in diesem Sommer. Gut‘ Ding hat Weile: Mit jedem Mix zeigt Mayer aufs Neue, welche Möglichkeiten das Format bietet. Auch deshalb gehören seine Kompilationen zum Besten, was das Genre Techno zu bieten hat.

Schon die Songliste ist überraschend: Elf Stücke genügen Mayer, um einen großen Bogen zu spannen. Wer die Mix-CDs anderer DJs unter die Lupe nimmt, wird oftmals von fünfzehn bis zwanzig Stücken überwältigt. Während andere den hektischen Schlagabtausch zum Konzept machen, vertraut Mayer auf die Magie der einzelnen Songs. Dass diese, wie in der aktuellen Folge Departures von Closer Musik, häufig schon ein paar Jahre alt sind, spielt keine Rolle. Von ihrem Zauber haben die Stücke nichts verloren. Michael Mayer legt sie auf, weil sie überdauern.

Immer 3 setzt fort, was sich auf den beiden Vorgängern bereits angekündigt hatte. Die Reise beginnt mit einem Remix von Cortney Tidwells Don’t Let The Stars Keep Us Tangled Up, und schnell wird klar: Nie zuvor klang Immer so poppig. Ob Massive Attack im Gui-Boratto-Remix, Charlotte Gainsbourg in der Superpitcher-Bearbeitung oder Justus Köhncke am Mikrofon – es sind vor allem die Sänger, die auf Immer 3 die entscheidende Akzente setzen.

Das Tempo machen dann Stücke von Tim Paris, Raudive und das grandiose Falling Stars von Smith N Hack. Immer wieder klingt Mayers Liebe zur Disco und zu fast gotischen Trance-Passagen durch; am deutlichsten hörbar im großen Finale, wenn die Streicher von Culoe de Songs The Bright Forest in die Ballade New Day von Kinky Justice münden.

Die Angewohntheit, Lieder möglichst in voller Länge auszuspielen hat sich Michael Mayer bewahrt. Nichts wirkt hektisch montiert, fließt vielmehr wie selbstverständlich ineinander. Auf technische Tricks und effekthascherische Posen verzichtet er. Stattdessen destilliert Michael Mayers Immer-Serie die Essenzen des Plattenauflegens heraus: Sorgsam auswählen, zusammenstellen, Klänge zueinander in Beziehung setzen. Immer bedeutet Geschmack vor Perfektion, Emotion vor Abfahrt.

Von Mayers Immer-Mixes geht eine pulsierende Wärme aus. Die dramaturgische Finesse der Reihe schöpft ihre Faszination weniger aus dem Moment, wenn die Party in Ekstase auseinanderzufliegen droht, sondern wenn es bereits ans Aufräumen geht. Wenn die Sonne aufgeht und der Schweiß langsam trocknet.

In diesem irren Vakuum zwischen Raum und Zeit breitet sich sein Sound aus. Melancholisch, dramatisch und irgendwie ungeheuer vertraut klingen die Stücke plötzlich, wenn Mayer sie wie an einer unsichtbaren Schnur zusammenzieht. Er verdichtet die großen Momente einer Nacht zu einem großen Gefühlsmoment. Seine Immer-Serie feiert das Licht am Ende der Party. Es ist das Schimmern der Discokugel.

„Immer 3“ von Michael Mayer ist bei Kompakt erschienen. Die ersten beiden „Immer“-Ausgaben sind ebenfalls weiterhin erhältlich.