Der Technoproduzent Matthew Dear wendet sich dem Popsong zu. Sein neues Album „Black City“ ist weniger für den Club als fürs Sofa gedacht – eine düstere Hommage an New York.
Die Musikbranche ist am Ende, der Kunstmarkt boomt, wird gerne behauptet. Wer mit Musik noch Geld verdienen will, macht also am besten Kunstobjekte draus. Irgendwann in grauer Vorzeit soll es doch Leute gegeben haben, die Tonträger nicht nur angehört, sondern auch in Händen gehalten und angeschaut haben. Der schönen Hülle wegen, oder weil es irgendwas zu lesen gab.
Beim MP3-Format gestaltet sich das Ganze ungleich schwieriger. Aber der New Yorker Elektronikproduzent Matthew Dear hatte eine Idee: Wer sein neues Album als MP3 kauft, bekommt was zum Anfassen dazu. Neben den gängigen Formaten wird Black City in limitierter Form auch als kunstvoll gearbeiter Totem erhältlich sein. Jeder der kleinen schwarzen Klötze enthält einen individuellen Downloadcode mit Zugang zu allerlei Bonusmaterial. Gestaltet wurden die Miniaturen von dem Künstlerpaar Constantin und Laurene Boym. Stellt man viele der Totems nebeneinander, ergeben sie das Bild einer schwarzen Metropole, passend zum Albumtitel.
Black City könnte der Soundtrack zum Leben in Gotham City oder Sin City sein. Die Geschichten der Graphic Novels meinen im Regelfall New York, und auch Matthew Dear möchte sein Album als düstere Hommage an den Big Apple verstanden wissen, wo er seit ein paar Jahren lebt. Sein künstlerischer Werdegang begann in Ann Arbour, dort studierte er Kulturanthropologie. Vom nahegelegenen Detroit aus erreichten ihn die Technowellen, und mit seinem Kumpel Sam Valenti gründete er um die Jahrtausendwende die Labels Ghostly International und Spectral. Dear veröffentlichte unter diversen Pseudonymen zunächst funktionale Musik für den Tanzboden.
Mittlerweile hat er sich den herkömmlichen Songstrukturen zugewandt, seine Alben funktionieren deshalb auch fernab der Clubs bestens. Der gepresste Gesang ist nun sein Markenzeichen. Auf seinen jüngeren Platten geht er ähnlich zu Werk, wie es Caribou kürzlich auf seinem Meisterwerk Swim vorgeführt hat. Auch Dear spielt mit der Struktur des Popsongs, viele seiner Stücke sind von abrupten Brüchen und Tonartwechseln gezeichnet. Allein die Single Little People (Black City) enthält drei verschiedene Songs, die zu einem verwoben wurden.
Trotz der vorwiegend digitalen Produktionsweise haben die Stücke immer auch einen historischen Charme, an allen Ecken knistert und knarzt es. Mit der kühlen Klangästhetik von Matthew Dears frühen Produktionen hat Black City wenig gemein. Dieses Album ist weniger zum Tanzen denn zum Ausnüchtern geeignet. Wenn man am Sonntag auf dem Sofa liegt, die Welt wieder sortiert und Zeit zum Nachdenken hat nachzudenken, zum Beispiel über die Wertigkeit von Musik im digitalen Zeitalter.
„Black City“ von Matthew Dear ist erschienen bei Ghostly International