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Er hat den Wall-Street-Blues

 

Harte Zeiten vom Schwarzen Freitag bis heute: Elvis Costello hat den Soundtrack zur Finanzkrise gemacht und nennt ihn „National Ransom“.

© Universal Music

„Wo ist Buddy Hollys Brihille jetzt?“ fragten einst die Ärzte. Die Antwort: auf der Nase von Elvis Costello. Der Brite, der einen Künstlernamen nun wirklich nötig hat – geboren wurde er 1954 als Declan Patrick Aloysius MacManus – fing in den Siebziger als später Erbe des früh gestorbenen Rock’n’Roll-Helden in Londoner Pubs an, zu einer Zeit, als Punk und Wave gerade keimten. Mit seinem neuen Album ist er wieder ungefähr da angekommen, um die Ecke vom Country.

Costello ist eine dieser Konstanten der Popkultur, immer irgendwie da, gut vernetzt, aber nie richtig groß, jedenfalls auf den Skalen von Starruhm und wirtschaftlichem Erfolg. Vielleicht hat er sich dafür zu oft verwandelt, hat sich in Soul, Pop, Rock, Blues, Country, Jazz, Klassik versucht. Vielleicht ist er auch ein zu kantiger Charakter – der Kollege von der Süddeutschen bekam auf selbstgefällige Fragen so knarzige Antworten, dass er übers Interview schrieb, „anlässlich seines neuen Albums National Ransom spricht ein schlecht gelaunter Elvis Costello…“

Auch weltanschaulich eckt Costello an. Ein Konzert in Israel sagte er ab, um gegen die Behandlung der Palästinenser zu protestieren. Und die Zeitung Die Welt meckert, das Cover von National Ransom erinnere an DKP-Plakate und das Neue Deutschland. Es zeigt einen Wolf in Gamaschen und Zylinder, gezeichnet wie schon frühere Costello-Cover vom Comic-Künstler Tony Millionaire.

Der Wolf ist ein altmodischer Cartoonkapitalist, auf der Flucht mit einem Koffer brennenden Geldes. Costello singt im Titelsong vom Gemetzel auf der Wall Street und der Verachtung für die Akteure, von „bankrotten Zeiten, wann immer die sein mögen“ – und legt damit den Rahmen für die 16 meist kurzen Songs fest: harte Zeiten vom Schwarzen Freitag 1929 bis heute, „und derweil arbeiten wir jeden Tag, um das nationale Lösegeld abzuzahlen“.

Nimmt man das Konzept – Soundtrack zur Krise – allzu ernst, muss man das Resultat ein bisschen dünn finden; Costello war noch nie für den Wirtschaftsnobelpreis nominiert. Versteht man es als Kulisse für einen der besseren Songwriter des 20. und 21. Jahrhunderts, eignet es sich gar nicht so schlecht. Es ist eine wandlungsfähige Drehbühne, auf die Costello immer neue Charaktere stellt, Jimmie auf einem Bahnsteig in Lancashire, eine Josephine und eine Jezebel, Dr. Watson.

Zwei Dinge prägen das Werk Costellos, durch alle Wandlungen: Er schreibt Zeilen, die an Wortwitz und lyrischer Leichtigkeit kaum zu übertreffen sind. Wohl dem, der Englisch kann – vernünftig übersetzen lässt sich vieles nicht. Und er kennt die Musikgeschichte mindestens so gut wie die Listen schreibenden Nerds aus den Romanen Nick Hornbys, könnte wahrscheinlich die Charts der ersten Februarwoche 1959 auswendig hersagen. Pop ist ein Selbstbedienungsladen, Costello ist der Shoplifter, und er dampft durch alle Regalgassen.

Das fängt auf National Ransom mit heftig rockigen Tönen im Titelsong an, geht akustisch und intim mit Jimmy in the Rain weiter, wird in Stations Of The Cross angejazzt und wechselt in A Slow Drag With Josephine nach Nashville, wo Teile des Albums entstanden. Die anderen nahmen Costello und seine Stammbands The Imposters und The Sugarcanes sowie Gastmusiker Vince Gill, Marc Ribot, Buddy Miller und Leon Russell in Los Angeles auf, in insgesamt nur elf Tagen.

Produziert hat das Album T Bone Burnett, mit dem Costello Ende der Achtziger im Duett als Coward Brothers auftrat und die Fans aus seinen punkigen Zeiten mit Country-Arrangements verstörte. Mal schaut der Geist von George Harrison vorbei, mal wimmert die Slide-Guitar, mal stehen Crooner wie Frank Sinatra Pate – allerdings mit Costellos immer irgendwie angeschlagener Stimme, die sich durch Skurriles und Sentimentales zwängt, durch wortgewaltige Texte, mit Liebe zum Detail umgesetzt.

Rock, Country, Punk – Etiketten, sagt Costello im schlecht gelaunten Interview, bergen die Gefahr, dass man den Inhalt aus dem Blick verliert, die Musik. „Das ist, als ob man eine Packung Kekse kauft und dann in die Verpackung beißt, in der Erwartung, dass sie gut schmeckt.“ Das schwere schwarze Gestell auf Costellos Nase ist nicht wirklich Buddy Hollys Brille. Die ist in Hollys Heimatstadt Lubbock, Texas, im Buddy Holly Center ausgestellt.

Elvis Costello: „National Ransom“ (Concord/Universal)