Ehrgeizig und doch allzu vertraut: Das neue Album der Strokes soll Weiterentwicklung signalisieren, bedeutet aber Stagnation auf höherem Niveau.
Es war eine kleine Revolution, die sich da am 30. Juli 2001 ereignete. An diesem Tag debütierte ein junges Quintett aus New York mit aufreizend federndem Garagenrock, wie ihn die Welt durchaus schon einmal gehört hatte – in den siebziger Jahren von Velvet Underground und später in Clubs wie dem legendären CBGB.
Gerade mal 36 Minuten und 23 Sekunden währte Is This It. Und doch klang dieses Album so roh, energetisch und effizient, dass es für die kommenden zehn Jahre als Referenzpunkt handgemachter Popmusik schlechthin gelten sollte: Gruppen wie Franz Ferdinand, die Arctic Monkeys, die Libertines oder die Kings Of Leon wären undenkbar, hätte es die Strokes nie gegeben. Das Problem mit den Strokes heute ist, dass es sie immer noch gibt.
Angles heißt ihr viertes Album, ein Werk, dem man den Willen, aber durchaus auch die Mühe anhört, noch zehn Jahre nach dem epochalen Start Maßstäbe setzen zu wollen. Die Twentysomethings von damals sind inzwischen in ihren Dreißigern, sie könnten es sich leisten, lässig neben dem Trend herzuschlendern, anstatt ihn zu setzen. Dass sie trotzdem vorne mitspielen wollen, spricht für ihren Ehrgeiz, ist aber nicht immer zielführend.
Zwar versteht Julian Casablancas es noch immer, süffige Popsongs aus dem Ärmel zu schütteln und mit aufgerautem Crooning zum Leben zu erwecken. Er tut es indes nicht mehr so freigiebig wie früher. Auch die Fähigkeit, neben dem eigentlichen Songwriting Zeichen zu setzen – wo wäre die Turnschuhmarke Converse heute ohne die Strokes? –, hat gelitten. Wo einst der fröhlich-schlichte Geist des Punk waltete, verleihen polyrhythmische Songstrukturen, wohldosierte Dissonanzen und ineinander verzahnte Gitarrenläufe der Musik ein komplexes, „progressives“ Gepräge.
Es ist der sogenannte Math Rock, bei dem die Strokes sich neuerdings bedienen, nachdem sie ihre Spielweise – trocken-prägnante Riffs, begleitet von melodiös-wandernden Basslinien – zuvor mit New-Wave-Anleihen erweitert hatten. Mal entfaltet diese Strategie eine irritierende Wucht, wie sie auch einer experimentellen Metal-Band gut zu Gesicht stünde (Metabolism), mal münden alle Bemühungen in ermattende Ratlosigkeit – etwa in You’re So Right, das an das monotone Thema von Pink Floyds Set The Controls For The Heart Of The Sun angelehnt ist.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Noch immer finden sich jene typisch euphorischen Strokes-Momente, in denen die Band im 4/4-Takt die Zügel schleifen lässt. Doch viel zu oft kommen sich die Musiker selbst ins Gehege – mit clever synkopierten, aber bloß ornamentalen Trommelwirbeln, mit jauchzenden, sich selbst übertrumpfenden E-Gitarrensoli. Sogar in Casablancas’ traditionell schmucklosen Gesang schleichen sich dann und wann ungewohnte Manierismen ein. Das alles soll Weiterentwicklung signalisieren, bedeutet aber Stagnation auf höherem Niveau.
Die Strokes des Jahres 2011 befinden sich in einem Dilemma, auf das die Single Under Cover Of Darkness eher unfreiwillig anspielt: „Everybody’s been singing the same song for ten years„. Auch die Strokes spielen im Grunde immer wieder denselben Song. Allmählich laufen sie Gefahr, zu den Motörhead der Indie-Szene zu avancieren. Aber so ist das bekanntlich mit Revolutionen. Früher oder später fressen sie ihre Kinder.
„Angles“ von The Strokes erscheint bei RCA/Sony.
Aus der ZEIT Nr. 11/2011