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New Yorker Klangkaramel

 

In den Siebzigern prägte die Plattenfirma Salsoul einen einzigartigen Disco-Sound. Ein neuer Sampler erinnert an den heißen Groove aus dem Melting Pot.

Baker, Harris und Young auf einem Cover von 1979 (© Salsoul Records)

Als Disco Ende der siebziger Jahre in die kreative Sackgasse geriet, schrieb der Journalist Vince Aletti in seiner Kolumne Disco Files: „Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, der Nervenkitzel ist verschwunden, aber er vergeht schnell.“ Was vorher unberechenbar und überschäumend vital, klang plötzlich banal und oberflächlich. Der Markt wurde von zweitklassigen Disco-Produktionen überschwemmt; Musicals, Evergreens und Filmmusiken wurden in Disco-Versionen gepresst. Disco war zu einer bloßen Formel verkommen.

Wie lebendig und aufregend Disco in seinen goldenen Jahren Mitte der Siebziger klingen konnte, zeigt die neue dreiteilige und sorgsam kommentierte Werkschau Mixology – The Definitive Salsoul Mixes. Kaum eine Plattenfirma stand so exemplarisch für New Yorks pulsierende Disco-Szene wie Salsoul Records. Es war Disco-Musik, wie sie in dieser Form nur aus dem melting pot New York kommen konnte.

Dort hatten drei jüdisch-syrische Brüder ihr erstes Geld mit Unterwäsche verdient. Joseph, Kenneth und Stanley Cayre kümmerten sich um den Vertrieb mexikanischer Musik in den USA, als der Musiker Joe Bataan ihnen 1973 die Bänder für seine neue LP für 5.000 Dollar verkaufte. Bataan verband den schwarzen R’n’B mit lateinamerikanischer Salsa-Musik – die Platte nannte er kurz Salsoul. Das Album aus dem Jahr 1973 warf mit Latin Strut nicht nur einen kleinen Hit, sondern auch den Namen für das neue Plattenlabel der Cayres ab.

In den New Yorker Clubs hatten die Cayre-Brüder den Soul-Sound aus Philadelphia gehört. Mit seinem mitreißenden Tempo und dem eleganten Orchesterklang war Philly Soul die frühe Blaupause für Disco. Dies war genau die Art von Musik, die die Cayre-Brüder auf Salsoul Records veröffentlichen wollten. Was ihnen fehlte, waren die richtigen Musiker.

Ken Cayre hatte eine Idee. Mit Taschen voller Geld fuhr er 1975 nach Philadelphia, um die wichtigsten Musiker des hauseigenen MFSB-Orchesters abzuwerben. Vor allem der Gitarrist Norman Baker, der Schlagzeuger Earl Young, der Bassist Ronnie Baker und der Vibrafonist Vince Montana galten als musikalisches Rückgrat des Philly Souls. Frustriert über die schlechte Bezahlung und Arbeitsbedingungen in der Hitfabrik von Kenny Gamble und Leon Huff, nahmen die Musiker das Angebot aus Manhattan dankend an. Ihre Verpflichtung war für das kleine New Yorker Label ein Coup. In Philadelphia hingegen schäumten die Chefs vor Wut. Vince Montana sah sein neues Engagement hingegen eher nüchtern: „Ich bin wie ein Klempner. Wenn man mich ruft, mache ich den Job“.

Montana war es, der die musikalische Leitung des Salsoul Orchestra übernahm. Er strich die Saxofone, baute krachige Blechbläser auf und eine lateinamerikanische Rhythmussektion. Unter seiner Führung entwickelte sich ein fetter Disco-Sound, unter dem die Funk-Energie des kongenialen Trios Baker-Harris-Young brodelte. Die Dynamik des Salsa und der geschmeidige Soul-Groove aus Philadelphia trieb die Stücke voran. Darunter schimmerte der elegante Klang des Salsoul Orchestra wie flüssiges Karamell. Der Salsoul-Sound war geboren: Urban, elegant und sexy. Nicht umsonst gab das Salsoul Orchestra seinen Platten gerne Titel wie You’re Just The Right Size oder Nice ’n‘ Naasty. In Philadelphia enthielten selbst die flottesten Tanznummern erbauliche Botschaften und Soul-Weisheiten. Bei Salsoul war die Fallhöhe deutlich niedriger, dafür machte es aber auch doppelt so viel Spaß.

Doch auch hier verstand man es, große Emotionen heraufzubeschwören. Immerhin hatte man die besten Sängerinnen der Disco-Ära. Jocelyn Brown, Loleatta Holloway und das Trio First Choice konnten mit ihren Stimmen Berge versetzen. Die Songschreiber lieferten stets schweres Disco-Gestein: Love Sensation, Let No Man Put Asunder, Hit & Run, Doctor Love, Runaway – die großen Salsoul-Hymnen brachten jeden Club zum beben und wurden zum Vorbild vieler späteren House-Produktionen.

Für die Verwendung in den Clubs wurden die Salsoul-Hits nur von den besten DJs und Produzenten gemixt: Tom Moulton, Walter Gibbons, Larry Levan und Frankie Knuckles fertigten bahnbrechende Versionen an, die den Klang von Disco veränderten. Vor allem Gibbons sorgte 1976 mit seiner erratischen Bearbeitung des Double-Exposure-Stücks Ten Percent für eine Sensation: Er zerpflückte das Original und montierte aus den Puzzleteilen ein komplett neues Stück zusammen. Entgegen aller Erwartungen, verkaufte sich die Maxi-Single blendend. Zugleich war Ten Percent die erste kommerzielle Single in LP-Format. „Dance Your Ass Off to Salsoul“ vermeldete die Plattenhülle. Auch in Sachen Marketing hatte man bei Salsoul alle Trümpfe in der Hand.

Das änderte sich Ende der Siebziger Jahre. Als Disco ins Straucheln geriet, wusste man sich auch bei Salsoul nicht zu helfen und schlingerte zwischen kitschiger Belanglosigkeit und dem Versuch, an neue Trends anzuknüpfen. Bis 1984 konnten die Cayre-Brüder das Label halbwegs erfolgreich weiterführen, dann wechselten die ehemaligen Unterwäschehändler das Geschäft. Von nun an verkauften sie Videokassetten: Amerika saß lieber vor dem Fernseher, als sich im Nachtleben auszutoben.

Die CD-Box „Mixology – The Definitive Salsoul Mixes“ ist bei Harmless erschienen.