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Die Katzen jammern

 

Vier Norwegerinnen spielen zusammen 30 Instrumente und nennen sich Katzenjammer. Ihr scheinbar harmloser Countrypop rückt dem Phallischen mit dem Beil zu Leibe.

© Universal Music

Country-Balladen. Gefällt mir. Freibeuter-Hymnen. Gefällt mir auch. Zirkus-Lieder. Gefällt sowieso. Beach Boys, B-52s, Balkan. Gefällt, gefällt, gefällt. Klick, Klick, Klick: Katzenjammer, so scheint es, spielen den Soundtrack zu einer Session im Sozialen Netzwerk. Dort ist der nächste Song aus einem neuen Genre stets nur eine Freundesempfehlung entfernt, auf A Kiss Before You Go, dem zweiten Album der Norwegerinnen, immerhin noch zwei oder drei Takte.

Das Paradoxe: Diesen vier Frauen gelingt es, mit dem Tempo moderner Kommunikationsmittel mitzuhalten, ohne sich allzu aktueller Methoden der Klangerzeugung zu bedienen. Statt mit Breakbeats und Auto-Tune unterlegen sie ihre mitreißenden, mehrstimmigen Melodien mit Gitarre und Klavier, Ukulele und Mundharmonika, Banjo oder Akkordeon.

Für neue Songs wird neues Instrumentarium erlernt, auf der Bühne wechseln Anne Marit Bergheim, Marianne Sveen, Solveig Heilo und Turid Jørgensen ständig die Aufgabenbereiche. Mehr als 30 Instrumente sollen sie beherrschen, Sampler und Computer aber sind nicht darunter. Strukturell findet das Sampling trotzdem statt. Katzenjammer stellen im schnellen Wechsel die Stimmungen aus billigen Horrorstreifen, verwehten Western oder launigen Piratenfilmen mit ironischem Abstand nach. In einem gewaltigen Spagat bedienen sie die Sehnsucht nach Authentizität, zugleich aber auch das chronische Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, das im Rhythmus des Internets vibriert.

Da ist auch der Feminismus nur einen Klick entfernt. Solange die Tatsache, dass hier vier Frauen zusammen Musik machen, ignoriert wird, akzeptieren Katzenjammer die scheinbare Normalität. Sobald sie aber gefragt werden, beklagen sie die immer noch patriarchalen Strukturen im Musikgeschäft.

Vor diesem Hintergrund verwandeln sich die Lieder. Aus der Single I Will Dance, einem vordergründig fröhlichen Song über einen traurigen Abschied, wird ein Lied über eine Frau, die sich von einem Mann befreit. Die männlichen Karikaturen im dazugehörigen Videoclip reißen sich Nasenhaare aus und tragen peinliche Vokuhila-Frisuren, während die Frauen mit dem Hackebeil stellvertretend für den Phallus einer Zucchini zu Leibe rücken. Das wird dann doch nicht jedem gefallen, aber: Wer’s merkt, hat längst begeistert mitgesungen.

„A Kiss Before You Go“ von Katzenjammer ist erschienen bei Vertigo Berlin/Universal.

Aus der ZEIT Nr. 41/2011